Von der Milch aus denken: Urstromkaese

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Eine Belgierin und ein Engländer mit einer gemeinsamen Leidenschaft: Käse. Und das Jahr 2020, das sie unverhofft ganz nah an die Milch gebracht hat, mitten ins Urstromtal und an den Käsekessel.

Aber von Anfang: Yule kennen sicherlich einige von Euch von Ihrer Zeit hinter der Alte Milch-Theke. Bevor sie uns mit Begeisterung und einem großen Lächeln den Rohmilchkäse näher gebracht hat und ein paar belgische Schätze (Florence!) nach Berlin, hat sie in Belgien Ingenieurswissenschaften studiert und sich bei einem Affineur in den Käse verliebt. Der brachte sie dann auch einmal um die Welt – nach Australien zum Schafskäse, in die japanischen Hügellandschaft und hoch hinaus in die italienischen Alpeggi zum Bergkäse. Die Motivation stets: Mehr über Käse lernen. Kein Wunder also, dass sie in Berlin erst bei Knippenbergs und schließlich bei Alte Milch landete.

Paul wiederum kommt aus dem britischen Norden – inklusive der feinen Art und Sprache. Er hat schon viel vom Käse gesehen, seit 16 Jahren ist er ihm treu: Vom Käsegroßhandel in Schottland, übers Käsemachen in Südengland, einige Zeit in Wales als "dairy technologist" bis hin zur Mitgestaltung der EU-Hygienestandards für gute handwerkliche Käseproduktion.

Gemeinsam gründeten sie diesen Sommer ihre erste eigene Käserei: Urstromkaese!

Wie kam es zur Gründung von Urstromkaese?

Yule: Eigentlich war es nicht wirklich unser großer Traum, sondern eher etwas was sich sehr organisch ergeben hat. Freunde meinten zu uns, warum wir nicht eine eigene Käserei gründen – schließlich würden wir zusammen alle Vorraussetzungen erfüllen und hätten genau die richtige Expertise und Erfahrungen.

Paul: Wir haben dann angefangen darüber nachzudenken und uns in Brandenburg etwas nach einem Hof umzuschauen. Tatsächlich haben wir aber rein gar nichts gefunden, dass nur ansatzweise gepasst hätte.

Yule: Als wir dann hörten, dass Astrid (Die Stadtkäserin) ihre Produktion einstellt und ihre Käserei neben einem großen Jersey-Milchbetrieb frei wird, war uns klar: it's destiny!

Paul: Der Landwirt, der den Hof leitet, Rainer Schmitt, nannte es einen "match made in heaven" und genau das ist es! Wir müssen keine eigenen Landwirtschaft betreiben, sondern können seine fantastische Milch verwenden und sie zu wunderbarem Käse weiterverarbeiten. Eine symbiotische Beziehung von der wir alle profitieren.

Ihr arbeitet mit Milch von Jersey Kühen – was für einen Unterschied macht das beim Käsen?

Paul: Jerseymilch ist sehr interessant – sie hat einen hohen Anteil an Fett und Kasein (das Protein, das man zum Käsen benötigt), ist allerdings nicht die beste Milch zum Käsen. Aufgrund dieser besonderen chemischen Zusammenstellungen ist es schwierig bestimmte Käsesorten daraus zu machen – gereifte Hartkäse zum Beispiel. Sie ist fundamental anders als übliche Kuhmilch!

Daher haben wir erst einmal mit dem "Weichkaese" angefangen. Neben unserem "Frischkaese" ist unser erster Käse eine Art Brillat Savarin – ein cremiger Weichkäse, der sehr gut funktioniert mit besonders fettiger Milch. Insofern ist die Milch von unserer Herde perfekt dafür.

Yule: Gerade mit dieser ungewöhnlichen Milch als Ausgangsprodukt haben wir gemerkt: wir müssen von der Milch aus denken! Und nicht vom Endprodukt aus. Wir passen Rezepte an, damit sie mit unserer Milch funktioneren und nicht anders herum.

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Was für Käsesorten wollt ihr noch produzieren?

Yule: Alle möglichen! Unsere Vision ist es, eine große Bandbreite an regionalem Käse zu produzieren, sodass man nicht mehr so viel importieren muss. Wir würden gerne einen Schimmelkäse machen und vielleicht auch eine Art Cheddar.

Wie würdet ihr die Philosophie von Urstromkaese beschreiben?

Yule: Wir arbeiten wissenschaftlich, aber nicht künstlich! Wir wollen verstehen, wie wir am besten mit hochwertiger Milch arbeiten können, um handwerklichen Käse herzustellen.

Paul: Wenn wir von "handwerklicher" Lebensmittelproduktion sprechen, wird damit oft "ungebildet" oder "unsauber" oder sogar "gefährlich" assoziert, obwohl es tatsächlich sehr wissenschaftlich ist. Wir wollen zeigen, dass handwerklich nicht heißt, dass wir in der Vergangenheit festhängen und an einer romantischen Idee festhalten, sondern modern, technisch und effizient arbeiten mit dem Ziel die bestmöglichen Lebensmittel aus den bestmöglichen Zutaten herstellen. In unserem Fall: Käse!

Was ist für euch das Schönste am Käsen?

Yule: Es ist sehr körperlich. Es ist ein wunderbares Gefühl ein Produkt von Grund auf herzustellen – etwas Neues zu kreieren und dann die Wertschätzung dafür zu spüren.

Paul: In dem Moment, als ich das erste Mal in einer Käserei stand, habe ich mich ins Käsemachen verliebt. Es gibt wirklich keinen anderen Job, der einem so eine seltsames Spektrum an Fähigkeiten abverlangt – ein Grundwissen von Mikrobiologie, ein Interesse an Lebensmitteln wie das eines Kochs, etwas Maschinenbau, Chemie und natürlich der körperliche Aspekt: es ein unglaublich anstrengender Beruf. Aber ich liebe es, da man immer wieder Dinge dazulernt und die Freude auf den Gesichtern von Menschen sieht, die deinen Käse mögen.

Oft hört man: Brandenburg hat keine große Käsekultur. Was sagt ihr dazu?

Paul: Die Milch- und Käselandschaft in Brandenburg ist sehr durch die DDR geprägt. Lange galt hier: mach so viel Milch wie möglich! Höfe waren oft als LPGs organisiert und brachten ihre Milch zu großen Molkereien. Diese eher industriellen Strukturen sehen wir noch heute – Berlin ist von vielen großen Höfen umgeben, es gibt sehr wenige alteingesessene kleine Höfe oder Käsereien. Auch der Hof, an dem unsere Käserei angesiedelt ist, ist ziemlich groß. Hier werden 400 Jersey Kühe gehalten.

Wenn wir zum Beispiel nach Frankreich schauen, wird dort eine ganz andere Tradition gelebt mit vielen kleinen Höfen, die eine sehr kleine Milchmenge verarbeiten.

Was wir jetzt allerdings in Brandenburg und angrenzenden Regionen sehen ist, dass immer mehr kleine neue Höfe entstehen, wie zum Beispiel der Hof Stolze Kuh oder der Erdhof Seewalde, die sowohl Milchkühe halten, als auch ihren eigenen Käse bzw. Milchprodukte herstellen.

Yule: Da sind wir wie gesagt in einer sehr schönen Position, da wir uns komplett nur aufs Käsen konzentrieren können!

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Was macht die aktuelle Krise mit euch bzw. kleinen Käsereien?

Paul: Wir müssen akzeptieren, dass sich die Welt verändert hat. Das ist für viele kleine Unternehmen sehr furchterregend, für andere fürchterlich. Das Gute an vielen kleinen Unternehmen ist allerdings, dass ihre große Stärke ihre Flexibilität ist. Viele haben gezeigt, dass sie in kürzester Zeit ihre Produkte und Absatzwege ändern können!

Dass diese Krise viele Strukturen und Probleme offengelegt haben, sollten wir als Chance sehen, diese zu ändern.

Yule: Unser Vorteil ist tatsächlich, dass wir noch so jung sind, dass wir extrem flexibel sind und noch nicht viele etablierte Strukturen haben. Wir haben unser Business erst während des ersten Lockdown im Frühling aufgebaut, insofern konnten wir uns auch direkt an die Situation anpassen.

Und gleichzeitig ist der Käsehandel florierender denn je! Das ist natürlich wunderbar.

Anm.d.Red.: Hier ein paar spannende Artikel zum Thema Krise & Käse in der UK:

Was ist eure Vision für Urstromkaese?

Yule: Wir möchten gerne Käse für alle machen. Käse, der kein seltenes Luxusgut ist, das man nur in Feinkostläden bekommt. Sondern einfach richtig guten, leckeren Käse, der vielen Menschen zur Verfügung steht.

Paul: Ja! Und wir träumen davon hier in unserer Käserei eine Art Käseschule einzurichten. Der VHM macht bereits viel im Bereich Weiterbildung für handwerkliche Käser*innen und wir werden hier Kurse für sie anbieten. Darüber hinaus möchten wir auch viele qualitativ hochwertige Praktika anbieten für Menschen, die Interesse an Käse haben, aber noch nicht in diesem Bereich arbeiten.

Wir glauben wirklich daran, dass (Ernährungs-)Bildung die Zukunft ist. Wir brauchen Menschen, die verstehen, wie gute Lebensmittel hergestellt werden, wo es herkommt und was es wert ist. Das weiterzugeben ist für uns der Kern unserer Arbeit.

Yule: Genau. In Belgien habe ich oft erlebt, dass Produzent*innen Angst haben, dass ihr Rezepte oder ihr Wissen geklaut werden. Statt zu verstehen, dass wir als handwerkliche Lebensmittelproduzent*innen zusammenhalten müssen!

Paul: Wenn wir eine starke Gemeinschaft von Käser*innen aufbauen, profitieren wir alle davon! Das erzeugt ein gutes Image und damit einen besseren Absatzmarkt. Zusammen können wir viel mehr erreichen!