Neues aus der Halle

Generationenwechsel gebacken kriegen

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Zusammengehalten wird dieses über 130 Jahre alte Gebäude von massivem Mauerwerk, gusseisernen Säulen und… Kuchen. Genauer gesagt: von einem Stand mit wunderbaren Backwaren, die seit über einem Jahrzehnt fester Bestandteil der Markthalle Neun sind. Lange war es Annette Zeller, die hier mit Butter, Zucker und viel Geduld für süße Beständigkeit sorgte. Heute ist es Anne Hoberg, die mit ihrem Mann Jed den Stand weiterführt – und damit auch eine Haltung: Handwerk ohne Kompromisse, Kuchen ohne Schnickschnack, aber mit Seele und Geschichte. Die Goldmond Bakery zeigt, wie man den Generationenwechsel gebacken bekommt.

Grundlage sind natürlich spektakuläre süße Backwaren. Nichtmal auf den ersten Blick. Denn da kommen sie beinahe nüchtern daher. Keine aufgetürmten Sahnewunder, keine verspielten Verzierungen. Doch findet so ein sachliches Stück Blechkuchen von Annette oder ein einfaches Stück Birnen-Tarte von Anne erstmal seinen Weg in einen Mund, fallen Augen aus Köpfen.

Schon als Annette Zeller 2011 das erste Mal ihre Kuchen auf dem Markt angeboten hat, bildeten sich lange Schlangen – als gäbe es an diesem Tag das erste oder das letzte Mal Kuchen in Kreuzberg. Viele, die damals schon anstanden, kommen noch heute. Die legendäre „Zitronenwolke“ liegt immer noch in der Auslage, jetzt unter Annes Regie und in bester Gesellschaft von Schoko-Babka, Bananenbrot und “Goldmöndchen”!

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2015: Annette's Zitronenwolke – wie vom Himmel gefallen!

Annette Zeller stammt aus einer schwäbischen Bäckerfamilie – backt schon in vierter Generation. “Auf den Mehlsäcken sitzend wurde ich das Einmaleins abgefragt.” witzelt sie in der Backstube im Keller der Markthalle Neun. Das Handwerk hat sie im elterlichen Betrieb gelernt, die Meisterprüfung abgelegt und dann ihre eigenen Wege gesucht. Sie hatte ein eigenes Konditorei-Café – und verlor es wieder. Zunächst zog sie sich aus dem Backen zurück. Doch dann kam ihre Schwangerschaft, und mit ihr die Lust, es doch noch einmal zu versuchen. Erste Aufträge brachten sie zurück in die Welt des süßen Handwerks – die Backkrise war überwunden. Und als sich 2011 mit der Wiedereröffnung der Markthalle Neun eine neue Möglichkeit bot, griff sie zu. Damals backte Annette noch in ihrer heimischen Backstube in Bohnsdorf. Doch der Kreuzberger Kuchenhunger wuchs. 2021 zog sie mitsamt Produktion in die Markthalle.

Seitdem ist „Frau Zeller“ nicht mehr wegzudenken. Apfel-Sauerrahm- und Käse-Mohn-Torte, Marzipan-Sauerkirsch, Shortbread, Florentiner, Engadiner, die berühmte piemonteser Haselnuss – und natürlich die legendäre Wolkentorte. Alles ohne künstliche Zusätze, aber mit einer großen Portion Erfahrung, Zeit und Gefühl. “Schmeckt wie bei Oma!” ist für sie bis heute das schönste Kompliment, das sie regelmäßig bekommt.

Doch bereits am ersten Tag der Neueröffnung bangte es Annette: Verantwortung und Arbeitslast sind für sie nicht mehr zu stemmen. Das Vorhaben war eine Nummer zu groß und selbst Konditorei-Koryphäen werden nicht jünger. Nachwuchs musste her. 

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Frischgebackene: 2023 übernehmen Jed und Anne den Stand

Zeitgleich in New York liebäugeln Anne und Jed mit dem Umzug. Bei jedem Elternbesuch in Berlin steht die Markthalle Neun auf dem Plan. “Damals entstand der Traum, in der Markthalle einen eigenen Laden zu haben. Die Ausschreibung, dass Annette eine Nachfolge suchte, kam wie gerufen. Nach dem ersten Kennenlernen hat es etwas gedauert, bis wir auf die Idee gekommen sind: Annette wollte weiterbacken – also stellte ich sie als Backstubenleitung ein.” Annette und ihre Kreationen verschwanden also nicht einfach aus der Backstube – sie blieb und teilte ihr Wissen. Anne wiederum brachte ihre langjährige Erfahrung aus Backstuben in Italien und New York mit – und neue Ideen. Sie ergänzte die Auslage mit eigenen Klassikern, wie den luftigen Schoko-Babkas oder dem goldgelben „Goldmöndchen“, mit Rugelach nach einem Rezept von Jeds New Yorker Familie. Dabei setzt Anne auf dieselben hochwertigen Zutaten, auf traditionelle Techniken und ehrlichen Geschmack. „Für mich sind vor allem die Mehle so entscheidend. Ich liebe Mühlen und die Vielfalt an Mehlen, sei es Urkorn, Gelbweizen oder Dinkel – das hat mir auch bei Annette so gut gefallen, dass sie dafür ein Auge hat.“ 

In der Lebensmittelbranche ist der Generationswechsel eine große Herausforderung – vor allem im Bäcker- und Konditorenhandwerk. Laut dem Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks sank die Zahl der Auszubildenden im Bäckerhandwerk von 23.067 im Jahr 2013 auf nur noch 9.977 im Jahr 2023. Hohe Anforderungen, lange Arbeitszeiten und geringe Löhne machen den Beruf für viele wenig attraktiv, was Betriebe vor existenzielle Probleme stellt.

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Hand in Hand-Handwerk: Anne und Annette eint die Liebe zur Einfachheit

Doch bei der Goldmond Bakery hat sich der Generationswechsel nicht nur aus Glück und Timing ergeben, sondern auch aus sorgfältiger Planung und einer engen Vernetzung rund um die Markthalle Neun. Was in der restlichen Lebensmittelbranche auszusterben droht, wächst hier mit neuer und eigener Kraft. Annette Zeller brachte nicht nur das Handwerk, sondern auch eine langjährige Erfahrung als Unternehmerin mit und wusste, wie wichtig es ist, ihre Kunst weiterzugeben. Anne Hoberg, mit ihrer internationalen Erfahrung und Ausbildung am French Culinary Institute, brachte Frische und Kreativität in das Unternehmen. Ihre Zusammenarbeit, basierend auf Vertrauen und Respekt, und die gemeinsame Liebe zum Einfachen und Guten hat sich als Erfolgsrezept erwiesen.

Fest steht: Erst durch die Verbindung von erstklassigen Zutaten, traditionellem Wissen, kreativer Herangehensweise und den Menschen, die es mit Leidenschaft tun, wird aus einem Kuchen etwas Besonderes. Darin sind sich Anne und Annette einig. Und genau darum geht es: Wissen weitergeben, Handwerk lebendig halten, neue Generationen für das Backen begeistern. Die Markthalle Neun bleibt ein Ort, an dem sich Talent und Tradition treffen, an dem gelernt, ausprobiert und weiterentwickelt wird. Und wenn alles gut läuft, stehen in 15 Jahren wieder die gleichen und neue Menschen an – vielleicht sogar vor der nächsten Generation von Bäcker*innen. Aber sicher mit der gleichen Vorfreude auf den ersten Bissen.

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