Arbeitsort Markthalle: Unsichtbares sichtbar machen
Ein Markttag beginnt lange bevor der erste Einkaufskorb gefüllt wird. Bevor Fisch filetiert, Brotteig geknetet oder Gemüse sortiert wird, werden Tore geöffnet, Kisten geschleppt, Buden aufgebaut und Böden gewischt. Es sind Handgriffe, die oft im Trubel untergehen – und ohne die doch nichts laufen würde.
Die Halle erwacht früh. Um sechs Uhr schließt Hausmeister Ralf die Tore auf. Um sieben nimmt John die ersten Fischlieferungen entgegen. Haley bestückt die Käsetheke, während Fleischermeister Jörg schon seit zwei Uhr morgens Würste räuchert. Kurz danach wird Malz für die Brauerei geliefert. Im Keller sortiert Benjamin den Papiermüll, Alex bringt Paletten nach oben. Und in der Backstube duftet es längst nach frischem Kuchen.
Diese alltäglichen Szenen hat die Fotografin Carla Ulrich über viele Monate hinweg begleitet. Frühmorgens, wenn die Halle fast leer ist, war sie mit ihrer Kamera unterwegs. Was sie dabei festgehalten hat, zeigt die Ausstellung „Arbeitsort: Markthalle“ – ein Blick hinter die Kulissen, auf das konzentrierte Tun, das präzise Handwerk und wo merklich ist: Hier läuft längst was, bevor irgendwas läuft.
„Mir gefällt die Atmosphäre in der Markthalle am frühen Morgen richtig gut“, sagt Carla. „Alles folgt einem festen Ablauf – die Hausmeister, dann die Bäckerinnen und Metzgerinnen, dann alle anderen. Später, wenn die ersten Kund*innen kommen, haben viele hier schon einen halben oder ganzen Arbeitstag hinter sich.“
Denn die Markthalle ist nicht nur ein Ort zum Einkaufen und Schlemmen. Sie ist ein Arbeitsort – für rund 400 Menschen. Ein Ort für Handel und Produktion mitten in Kreuzberg, an dem 29 kleine und mittlere Betriebe unter einem Dach arbeiten: darunter Bäckereien, eine Metzgerei, eine Konditorei, eine Brauerei. Über 70 Nationen begegnen sich hier im Arbeitsalltag. Und: Jedes Jahr werden hier bis zu 12 junge Menschen im Lebensmittelhandwerk ausgebildet.
Carla Ulrich interessiert sich für das, was sonst oft übersehen wird – im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinn. Ihre Kamera bleibt ruhig, neugierig, unaufgeregt. Sie nimmt sich Zeit und Raum, beobachtet Abläufe, Rituale und Rhythmen.
„Das Fachwissen, das hier versammelt ist, hat mich sehr beeindruckt. Brot backen, Wurst herstellen, Fisch filetieren – alles durch Menschen, die sich wirklich auskennen.“
Ein Teil der Ausstellung zeigt Orte, die dem Blick der Besucher*innen meist entzogen bleiben – die verwinkelten Keller unter der Halle, in denen logistische Arbeit, Kühlung, Produktion oder einfach Pause passiert. Carla erzählt von unterschiedlichen Atmosphären: In der Brauerei schallt lauter Metal, in der Konditorei klassische Musik. Der Alltag formt hier eigene Räume, eigene Klänge, eigene Geschichten.
Ein Bild ist Carla besonders im Kopf geblieben: Cléo von Frisch Gefischt, wie sie kurz vor Feierabend die Fischtheke abwischt. Die untergehende Sonne fällt durch die Fenster. „Das hat beim Fotografieren immer wieder Spaß gemacht“, sagt Carla – auch wegen dieser besonderen Architektur, in der das Licht manchmal wie ein Scheinwerfer hereinfällt und dann wieder verschwindet.
„Ich möchte mit meinen Bildern zeigen, was es bedeutet, mit Lebensmitteln zu arbeiten – in all den sichtbaren und unsichtbaren Schritten, die dazu gehören. Besonders für Stadtbewohner*innen ist das oft eine unsichtbare Welt.“
Mit ihrer Ausstellung macht Carla Ulrich diese Welt sichtbar. Sie zeigt die Markthalle als Arbeitsplatz, als Ort der täglichen Praxis und des Miteinanders. Und sie lädt dazu ein, genauer hinzusehen.
Text: Carina Reckers