Hopfen und Malz sind nicht verloren!

Heidenpeters Clemens-69

Hopfen und Malz sind nicht verloren!

Wie Kleinstbrauereien das Brauhandwerk retten

Wirklich gutes Bier. In fast jedem Land der Welt assoziiert man Deutschland mit dem süffigen Wasser-Hopfen-Malz-Gemisch. Deutschland, deine Biere: 6.000 Sorten aus 1.500 Braustätten, ungefähr 900 davon Kleinstbrauereien. In Europa macht uns das zum führenden Brauland. Doch wie steht es generell ums Bierland Deutschland?

Durchweg verzeichnet sich seit einigen Jahrzehnten ein Konsumrückgang, Bier wird weniger getrunken als je zuvor. Wir wollen nicht mit Zahlen langweilen, aber zum Verständnis: In den 1970er Jahren rannen noch knapp 150 Liter Bier pro Jahr deutsche Kehlen hinunter, mittlerweile sind es (schlappe) 90 Liter. Halb so wild, sagen wir. Statt viel, wird besser getrunken. Viel hilft bekanntlich wenig und besser ist gut. Von 2005 bis 2020 ist die Zahl der Mikrobrauereien, in denen Handwerk, Produktqualität und Vielfalt groß geschrieben werden, von 500 auf über 900 gewachsen. Eine davon ist die Heidenpeters-Brauerei im Keller der Markthalle Neun. Und dahin geht der heutige Ausflug. Ich treffe Clemens, der hier seine Ausbildung zum Brauer macht.

Die Treppe runter, zweimal links, zweimal rechts und die restliche Wegbeschreibung lautet wie folgt: zunächst der Nase nach, dann den Lauschern trauen. Die feinen Klänge von AC/DC und der süße Duft von Hopfen und Malz täuschen nicht. Die Brauerei ist nah. Die Rampe heruntergestolpert stehe ich mitten im Gär-Geschehen und mein Gesprächspartner am Gärkessel.

Die wallende Mähne unter schwarzer Kappe gezähmt, ein schwarzes Paisley-Bandana um den Hals, ein mit Heidenpeters-Siebdruck personalisierter pink-lila Seidenblouson und der abgesplitterte schwarze Nagellack geben ihm den Anschein eines Braupiraten (Wer kennt sie nicht, die Braupiraten?). Tjark, der vor Clemens hier seine Ausbildung gemacht hat und nun die Brauvorgänge leitet, steht direkt hinter der Tür und meldet meinen Besuch (den akustischen Umständen geschuldet) lautstark an. “Besuuuuch, Clemens!” - “Ach, da bist Du ja.” - “WAS?” - “DA BIST DU JA!” - “JA, DA BIN ICH!” Clemens ist noch beschäftigt, seit heute morgen wird gebraut. Gerade ist es Zeit auszutrebern, er steht am Läuterbottich und schöpft die letzten dampfenden Rückstände des Braumalzes in eine große grüne Tonne. “So. In den Müll geht hier nichts, das ganze Zeug holt ein Bauer ab, gibt’s seinen Schweinen.” - “WIE BITTE?”

Ich deute auf die Tür. Ein Gespräch, das über wilde Gesten hinaus geht, gestaltet sich hier unten schwierig. Wir bewegen uns also gen Aufgang und klären auf dem Weg die Frage, ob Kaffee oder Bier. Die Antwort ist schnell gefunden und prompt sitzen wir an der Heidenpeters Theke. Nun will ich natürlich alles wissen, das “Vor”, das “Während” und das “Nach” der Ausbildung. Wo kommt er her, wo geht er hin, der Clemens. Die Theke ist bekanntermaßen der ideale Platz für Gespräche dieser Art. War schon immer so und wird auch immer so bleiben. Wären in der Halle nicht schon alle per Du, spätestens die Theke bietet es an.

“Dann erzähl doch mal Clemens. Erzähl mir die Geschichte des Brauerei-Quereinsteigers.”

“Mit 23 hab’ ich mein Studium zum Mediendesigner abgebrochen und es hat mich dann für 5 Jahre nach Kambodscha verschlagen. Geplant war das nicht, gebucht hatte ich eigentlich nur für sechs Wochen. Aber dann bin ich irgendwie da hängengeblieben und hab’ mit ein paar Leuten ein Hostel aufgebaut. Da bin ich auch das erste Mal mit Craft Beer in Berührung gekommen. Ich glaube, zur gleichen Zeit fing das hier auch an mit den Mikrobrauereien. Durch die Pandemie und andere ungeplante Sachen bin ich dann wieder zurück in Berlin gelandet, also vor…” Wir versuchen uns zu erinnern, wie lange das denn jetzt alles schon wieder her ist. “2 Jahre? Ne, 3 Jahre schon! 2020 bin ich zurückgekommen. Da hatte ich dann erstmal einen Job in der Gastro als Barkeeper. Durch Corona hat da natürlich alles zugemacht, da hatte ich dann erstmal nix zu tun. Dann hab’ ich im Brauhaus Neulich in Neukölln gearbeitet und da den Brauer kennengelernt, Sam. In Kambodscha und auch über die letzten Jahre, hatte ich dann auch über’s Biertrinken hinaus das Interesse am Brauen entdeckt und eben allem was da hinter steckt. Da hab’ ich ihn gefragt, ob ich nicht bei ihm ein Praktikum machen kann. Während des Lockdowns haben wir dann eigentlich jedes Wochenende immer entweder bei ihm oder bei mir Bier gebraut. Die Idee war dann, weil er seinen Meister in Bayern machen wollte, dass ich eventuell seine Position übernehme. Er hat dann gesagt, wenn Du das wirklich machen willst, dann mach ein Praktikum in einer richtigen, größeren Brauerei. Die machen in ihrer Gasthausbrauerei nur so 250 Liter pro Sud, wir machen hier das Vierfache, was natürlich längst nicht auf industriellen Maßstab ist.”

Sam hat Clemens dann eine Liste aller Brauereien in Berlin gegeben - immerhin über 30. Er hat sich überall beworben und gemeldet haben sich Heidenpeters und Hops & Barley. Nach einem dreimonatigen Praktikum bei Heidenpeters ist Clemens dann direkt Brauereigehilfe geworden. Geplant war das alles so nicht. “Mir hat’s dann einfach so gut gefallen, in der Brauerei und hier in der Halle, dass ich mich dann entschieden hab’ mit 30 nochmal eine Ausbildung anzufangen. Endlich mal was auf’m Zettel haben!”

Eine Klasse von Brauer*innen, 16 Leute, die das Brau(hand)werk lernen. Clemens ist der zweitälteste, die meisten fangen direkt nach der Schule an. Für Quereinsteiger*innen macht das Ausbildungssystem den Zugang schwer, ähnlich wie in anderen Ausbildungsberufen im Lebensmittelhandwerk. Vor allem die niedrigen Löhne erschweren es Ausbildungsanwärter*innen, obwohl das Interesse an diesen Berufen bei vielen erst später erwächst. Clemens lebt von seinem Ersparten, hat sich trotz aller Widerstände für die Ausbildung entschieden. Die Leidenschaft fürs Lebensmittelhandwerk muss groß sein, sich in die eingestaubten und nur noch wenig zeitgemäßen Strukturen des Ausbildungssystems in Deutschland zu begeben. Beim Erlernen des Brauberufs sieht es ähnlich aus wie bei den Bäcker*innen, bei denen im Jahr 2023 beliebte, aber althergebrachte Techniken wie die Sauerteigführung keine Erwähnung im Lehrplan finden. “Wir arbeiten da mit dem Kunze, der “Brauereibibel”, geschrieben 1961. Sauerbiere, z.B. gelten da als Braufehler. Die Techniken sind tendenziell industriefreundlich, weniger auf Handwerksbrauereien ausgelegt. Ein Kumpel von mir, der seine Ausbildung in Bayern macht - die brauen da nur so drei Biere: ein Helles, Dunkles und ein Bock. Also alles nur so untergärig. Als ich denen erzählt hab, dass ich meine Ausbildung in Berlin mache, haben die gesagt: “Was machste denn da eigentlich? In Berlin lernt man doch kein Bierbrauen!” Falsch gedacht, die Brauereivielfalt in Berlin ist groß und das Epizentrum für die Craft-Beer-Bewegung in Deutschland. Gerade das Losgelöstsein von festen Traditionen, sagt Clemens, ist was ihn so besonders reizt. Er hat hier direkt seine eigenen Rezepte ausprobieren können, das “Whole Lotta Wheat” - ein Weizenbier - ist von ihm. Das Essentielle in seiner Ausbildung wird also vor Ort gelernt. Wer braucht eine Braubibel, wenn die Brauerleuchtung in der Markthalle Neun im Keller kommt?

Zum Positiven scheint sich die offizielle Ausbildungsstruktur nicht zu ändern, auch wenn es Zeit für Reformen wäre, die sich an gegebenen Realitäten von Lebensmittelhandwerker*innen und Interessierten richten. Clemens erzählt mir, dass das Curriculum ab dem kommenden Jahr zwei statt einem Schultag für Auszubildende fordert. Er bezweifelt, dass sich kleine Betriebe wie Heidenpeters, die sowieso weit über dem geltenden Tarif zahlen, weiterhin Auszubildende leisten können, wenn die nur noch drei Tage die Woche im Betrieb sind. Ein weiteres Problem der Brauwirtschaft, neben genereller Sauffaulheit oder -umlagerung auf Wein oder alkoholfreie Getränke: Mal wieder die Boomer. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten in Brauereien ist deutlich höher als in anderen Lebensmittelbranchen. Zudem sind seit 1995 durch Technologisierung und Outsourcingprozesse jährlich rund 1000 Arbeitsplätze in Brauereien verloren gegangen. Nicht so in Kleinstbrauereien, die für junge Menschen als Arbeits- und Ausbildungsplatz weitaus reizvoller sind. Bei den Ausbildungsverträgen verhält es sich ähnlich: Während sie in Handwerksbrauereien stetig zunehmen, sinken sie in der Industrie. Die Zukunft der Brauereiwirtschaft liegt also, zumindest zum Teil, bei uns in der Halle. Dank Brauhandwerk und eigensinnigen Quereinsteiger*innen wie Clemens sind Hopfen und Malz nicht verloren.

Nächstes Jahr im Sommer ist er offiziell Brauer. “Wo soll’s dann hingehen? Gibt’s schon Pläne?”

Na klar, die eigene Brauerei. Wir hoffen hier. Doch Clemens sagt, es wird wohl eher Kambodscha werden. Eine Community-Brauerei, die Freund*innen und Gäste mit gutem Bier versorgt. Keine schlechte Idee, Clemens.

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