Erntefrisch zu Tisch: Die neue Metzgerei

Joerg Foestera-2-26

“Sonntag rief die Schule an und drohte, dass ich fliege, wenn ich morgen keinen Praktikumsvertrag habe.” Der nächste Tag ebnete Jörg's Lebensweg; die Ortsmetzgerei in seinem Spreewälder Heimatort Lübben band ihn direkt am nächsten Morgen in die Produktion mit ein. Mittags hatte er den Praktikumsvertrag, zwei Wochen später begann er - mit gerade mal 14 Jahren - seine Ausbildung zum Metzger und mit 18 hatte er den Meisterbrief in der Tasche.
“Ganz im Gegensatz zu meiner Schulzeit hatte ich nur noch Einsen. Als ich ins Machen kam, war für mich eine ganz andere Motivation da.”
Seine herausragenden Leistungen als jüngster Meister seines Handwerks in Deutschland ermöglichtem ihm Stipendien, mit denen er sich weiterbildete. Er füllte mehrere Leitungspositionen in großen Einzelhandels-Kaufhäusern aus, beriet und bildete selbst aus. Seine Teilnahme am Stadt Land Food Festival in der Markthalle Neun eröffneten ihm neue Perspektiven:
“Wir haben auf dem Festival eine gläserne Metzgerei bespielt. Man konnte mir live beim Arbeiten zusehen.” Ein Jahr später, 2015, nahm er seine permanente gläserne Metzgerei Kumpel & Keule in der Markthalle Neun in Betrieb.

Jörg trinkt einen Schluck von seiner Apfelschorle. Wir sitzen auf seinem Stammplatz. Der Ort, an dem man ihm oft findet, wenn er mal kurz Pause macht - im Eingangsbereich der Eisenbahnstraße auf den Steinstufen vor der Kantine Zukunft. Während wir uns unterhalten, strömen Händler*innen, Waren und Kundschaft ein und aus. 

“Qualität ist für mich nicht Geschmack, sondern in erster Linie Qualität der Haltung.” Als Partner der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall, kurz BESH, wird ihm für einen Großteil seiner Produkte die dafür notwendige Transparenz gewährt.
“Die BESH funktioniert quasi als AG, bei der die Erzeuger*innen die Aktionär*innen sind. Aufzucht, Schlachtung und Vertrieb passiert alles aus deren Hand. Viele von ihnen sind Nebenerwerbslandwirt*innen, die eigentlich Hirse oder Mais anbauen. Die Tiere werden mit regionalem Futter versorgt, die Bauern und Bäuerinnen bringen ihre Tiere selbst zur Schlachtung und manche übernachten sogar mit ihnen vor Ort. Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Im gesamten Prozess ist man auf eine minimale Stressbelastung für das Tier sensibilisiert.”
Seine Maisgänse, die es zur Weihnachtszeit gibt, lässt Jörg von einem Bio-Mais und -Erdbeer-Landwirt in Niedersachsen aufziehen. “Die Küken und das Futter stellen wir. Der Bauer hat null Stress, weil alles in Wert gesetzt wird. Sogar die Restbestände der Maisernte auf dem Acker kann er an unsere Gänse verfüttern.”
Mehrere Erzeugnisse innerhalb eines Betriebs machen einen gesünderen Hof, so Jörg's Überzeugung: “Es gibt mehrere Einkommensquellen, die Tiere werden zur Landschaftspflege eingesetzt und es entsteht viel mehr Handlungsraum für Tierwohl.”

Jörg weiß: “Fleisch ist ein kontroverses Produkt. Fleischkonsum zu reduzieren, gehört zu einer ganzheitlichen Ernährung dazu, aber im gleichen Atemzug auch sinnvolle Alternativen zu schaffen." Wild und Donau Soja sind zwei von vielen Wegen, die Jörg nennt. Diese könnten sich bald in einer Wildschweinbratwurst mit Rote Beete und Erbsenprotein manifestieren. “Die Wurst bestünde dann nur noch zu 51 % aus Fleisch. So können auch wir unseren Fleischverbrauch senken, obwohl wir wachsen. In diesem Beispiel mit regionalen Pflanzenquellen. Wenn andere Metzgereien davon inspiriert sind und mitziehen, ist das ein Zugewinn für Alle."

Apropos wachsen: Der neue Kumpel & Keule Stand hat Anfang September eröffnet. Wie war's? "Ruhig, wie gewünscht. Zur Eröffnung haben wir einen Laib Bergkäse von Alma geschenkt bekommen. Der wurde direkt zu Cabanossi verwurstet.", er lächelt zufrieden. Verkauf, Produktion und Umkleide verteilen sich jetzt auf 100 Quadratmetern. "Alles läuft wie gehabt, nur mit mehr Platz und modernen Geräten. Um drei Uhr morgens startet der Betrieb. Wir zerlegen und produzieren. Mehrmals die Woche wird alles frisch hergestellt." Reinschauen ist weiterhin erwünscht. Die Fensterfront gegenüber vom Obst und Gemüse-Stand Multi Kulti lädt zum Zuschauen ein. Selbst beim Bau hat Jörg - noch vor der Energiekrise - vorausschauend geplant: "Sämtliche Abwärme unserer Geräte wird zurückgewonnen. Im Winter beheizen wir die Halle mit und im Sommer gewinnen wir darüber unser Warmwasser." Bald soll auch der Rindertalg, eigentlich ein Abfallprodukt beim Zerlegen, als Frittierfett für ihre Frittenbeilage zum renommierten K&K-Burger verwertet werden. Das klingt neben dem Mittagstisch nach einem perfekten Street Food Thursday-Schmaus? "Wir würden gerne, aber es ist zu wenig Personal da. Wir suchen aktuell wieder nach Zuwachs. Mit oder ohne Fachausbildung." Der Großteil seines Teams sind Quereinsteiger*innen. Ob als Azubi oder Mitarbeiter*in, Kumpel & Keule freut sich über Eure Bewerbung.

Wir erlösen unsere eingeschlafenen Beine vom Sitzwinkel der Steintreppen und spazieren zum Eingang Pücklerstraße auf den Kumpel & Keule-Stand zu. Über die Hintertür geht es in den Produktionsraum. Groß, hell, viel Stahl. "Heute passiert hier hinten nichts mehr." Durch die Kameralinse lässt sich auf Theken-Seite dafür reger Betrieb beobachten. Ich drücke ab, wir lächeln uns an und verabschieden uns zurück in unseren Alltag. Jörg durch die Schwingtür zur Fleischtheke, ich durch den Hinterausgang, der zurück auf den Markt führt.