Ein Plausch auf dem Markt - Domberger

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Einer der ersten knackig kalten Morgen in Berlin. Auf dem Rad von Kreuzberg nach Moabit, die Finger sind kalt, doch die Gedanken an frisch gebackene Brezeln halten warm. Beim Abstellen meines Fahrrads der Verdacht auf eine Fata Morgana: Markthallen-Gemüsehändler Mo schwebt zu früher Stunde aus der Domberger Bäckerei in der Essener Straße 11. “Was machst du denn hier?” Apfellieferung für Rohrnudeln. “Was machst DU denn hier?” - “Treffe mich mit Ralf, der wird mir erzählen, wie hier das Bäckerhandwerk gelernt wird.” Lecker (die Apfellieferung) und spannend (das Handwerk), finden wir beide. Nach einer kräftigen Umarmung folge ich meiner Nase in die Backstube.

Drinnen emsiges Treiben. Selbst am frühen Morgen wird für Brot, Brezeln und Zimtschnecken angestanden. Zwei Schülerpraktikanten formen (oder ist es falten?) Brezeln, Teig wird bearbeitet und Brote verkauft. Bei jedem Arbeitsschritt kann zugeguckt werden. In der gläsernen Bäckerei sind der Arbeits- und Verkaufsbereich lediglich durch Glasscheiben getrennt. Hier wird nichts versteckt, alles ist einsehbar. Am Ofen greift Bäckermeister Ben zum Messer und ritzt schwungvoll Muster in die Brotlaibe, bevor er mit helfender Hand ein langes Blech voll Beutebrote in den Ofen schiebt.

Ralf Tschentscher kommt gerade zur rechten Zeit aus dem Büro hervor und winkt mich sofort hinter die Theke ins Kontor der Brotwerker. Timing muss Bäcker*innen in den Adern liegen. Wir setzen uns und nach kurzem Schnack gehen wir direkt in medias res: “Ralf, wie sieht aktuell die Ausbildung im Bäckereihandwerk aus?”

Ralf ist selber Bäckermeister und hat schon mit 17, vor 30 Jahren seine Ausbildung in der Nähe von Eisenhüttenstadt gemacht. “Da hat sich seitdem nicht wahnsinnig viel verändert.” sagt er. “Damals konnte ich mir aber immerhin eine Wohnung vom Ausbildungsgehalt leisten. 270 Mark gab’s da in der Lehre, meine Wohnung hat 90 Mark gekostet.” Aktuell liegt das Ausbildungsgehalt im ersten Lehrjahr bei ca. 680 Euro brutto im Monat. Ralf sieht darin die erste große Hürde für junge Menschen, sich für eine Ausbildung im Lebensmittelhandwerk zu entscheiden. “Wer noch zu Hause bei seinen Eltern wohnt, für den mag das eine Möglichkeit sein, aber wenn man nach Unabhängigkeit strebt, oder womöglich als Quereinsteiger in den Beruf will, dann ist das keine Option”.,

Salar, einziger Auszubildender bei Domberger, der im dualen System bei der Handwerkskammer seine Ausbildung absolviert, wird bei Domberger der Mindestlohn bezahlt, also weit über das übliche Gehalt eines Auszubildenden hinaus. In der Berufsschule hat er von Sauerteig oder Fermentation noch nichts gehört. Selbst als Ralf damals seinen Meister gemacht hat, fährt er fort: “Da gab es einen Tag zum Thema “Backen nur mit Sauerteig.'' Ganz kurz angerissen. Es gab Ausbilder, die haben das angetriggert, aber die Alten haben da den Daumen draufgehalten. Qualität und besonders Inhalt der Lehre sind nicht auf dem aktuellen Stand und eher industrieorientiert.” Dennoch möchte Ralf das System nicht in ein schlechtes Licht rücken. Er sieht enormes Potenzial im System der dualen Ausbildung, theoretisches Wissen in der Berufsschule dann praxisorientiert in Betrieben anzuwenden.

Ob es denn Bestrebungen gibt, die Lerninhalte zu aktualisieren, frage ich. Ralf ist nämlich auch im Gesellenprüfungsausschuss der Handwerkskammer und damit nah am Zentrum der offiziellen Ausbildung. “Langsam wird umgedacht, da gab es letztens auch Workshops, um sich auszutauschen. Was wollen die Leute lernen? Was ist eine gute Ausbildung? Wie können Betriebe in neuen Lerninhalten mitgenommen werden?” Dennoch ist momentan für Florian Domberger, dem Gründer und Geschäftsführer, Ralf und Ben, den beiden Betriebsleitern, der Aufbau eines internen Ausbildungssystems der einzig logische Schluss. “Wir wollen natürlich auch auf lange Sicht, dass unsere Leute, die hier ausgebildet werden, später etwas in der Hand haben. Wir bilden gut aus. Das Feedback ist großartig. Hendrik, zum Beispiel, ist jetzt in Australien, hat da seine eigene Bäckerei. Der ist aus dem Ruhrpott hergekommen. Eigentlich Biochemiker. Ist danach noch zu Sironi, dann nach Bonn zu Max Kugel. Macht jetzt Brezel in Australien. Der ist das ganze System durchlaufen.”

Wie das interne Ausbildungssystem denn eigentlich aussieht, möchte ich von Ralf wissen. Die Ausbildung baut auf einem System der Fähigkeitsstufen auf, es wird kompetenz-orientiert ausgebildet: von Bäcker*in Eins (B1)zu Bäcker*in Zwei(B2), Drei(B3), Vier(B4). Auf Stufe Vier sind die Bäcker*innen dann in der Lage, die komplette Backstube zu führen. “Außerdem funktioniert die Ausbildung nach dem Regenerationsprinzip. Wer schon länger da ist, bringt das Gelernte den Neuen bei. In vier dezentralen Backstuben gibt es immer eine Person, die die anderen ausbildet. Letztlich ist aber jede*r ständig in Ausbildung. Das Lernen hört bei uns nicht auf. Auch nicht bei mir oder Florian.”

Die Ausbildungspläne haben die beiden alle selber geschrieben und entwickelt. In der Ausbildung wird direkt Verantwortung übernommen. Ab dem ersten Tag wird mit dem Teig gearbeitet. “Außerdem weiß jeder, was die anderen verdienen.” und hier kommen wir zur fairen Bezahlung für Auszubildende zurück: “Weil das System der Fähigkeitsstufen transparent gestaltet ist. So haben alle die Motivation, die nächste Stufe zu erreichen. Und niemand muss hier das erste Jahr lang nur Bleche schrubben. “Lehrjahre sind keine Herrenjahre", oder solche alten Sprüche sind nicht mehr zeitgemäß".

Anders war das noch, als Ralf seine Ausbildung gemacht hat oder in der aktuellen Ausbildung im herkömmlichen Bäcker*innenhandwerk: “Nach der Ausbildung und, damals ja noch verpflichtend, der Wehrdienst - da hab’ ich natürlich verweigert und Zivildienst gemacht - danach hab ich dann als Bäcker in einem großen Bäcker-Betrieb gearbeitet. Da bin ich in der Hierarchie hoch, bis es nicht mehr weiterging.” Doch auf Dauer hat ihn die konventionelle Arbeit in Großbäckereien gelangweilt. “2014 bin ich dann nach Berlin gezogen”. Irgendwann bin ich nicht mehr weitergekommen und Stillstand habe ich noch nie gemocht. In Berlin konnte ich’s mir dann aussuchen. Entweder in so ‘nen großen Betrieb wie der, in dem ich vorher war - oder eben dann die ufaBäckerei. Bio war für mich komplett neu. Bio, vegetarisch, vegan. Ohne Backtriebmittel, Zusätze und so weiter. War für mich total interessant. Mit Butter wird dann natürlich nicht oder weniger gearbeitet.” Kurz verlieren wir uns in einem Lobgesang über Butter. “Ich liebe Butter über alles.” Ralf und ich sind uns einig. “Ich liebe Butter auch über alles. Freitag die ersten Stollen gebacken. Schön Butter drauf, das ist natürlich das A und O. Aber gut - muss halt nicht jeder haben. Aber für Bäcker ändert das natürlich die Teigführung. Das ist anderes Backen - Butter verstärkt den Kleber. Das muss man alles wissen. Besonders handwerkliches Backen erfordert viel angewandtes Wissen und die richtigen Handgriffe, um flexibel auf äußere Umstände zu reagieren und die Qualitätsstandards hoch zu halten.”

“Aber bleibt der Trend zum handwerklichen Backen in Berlin und wenigen anderen Orten?” Ralf ist da recht zuversichtlich und sieht die Rückbesinnung auf handwerkliches Backen mit minimalen Zutaten als zukunftsweisend: “Ich hab zum Beispiel einen ehemaligen Arbeitskollegen, der arbeitet in einer großen Bäckerei, der hat das Rezept vom Beutebrot mit reingenommen. Es bewegt sich also schon etwas… Aber es gibt einfach nicht genügend gute Bäcker. Handwerk stirbt einfach aus, wenn wir nichts dagegen tun.”

Was hier dagegen getan wird, zeigt mir Ralf auf einem Rundgang durch die Bäckerei.

Jede*r hier arbeitet fokussiert und in voller Verantwortung an Mehl, Teig, Ofen oder Verkaufsstand. Die Kleinteiligkeit funktioniert auch innerhalb der Bäckereien und darüber hinaus. Viele ehemalige Brotwerker haben sich mittlerweile selbstständig gemacht und sorgen dafür, dass das Bäcker*innenhandwerk lebt. In einem Interview mit der Gemeinschaft hat Florian Björn Wiese zitiert, der sagt, dass von den 11.000 Bäckereien vielleicht 20 so backen wie hier - also nur mit Mehl, Wasser, Salz und Zeit.

Momentan arbeiten 29 Leute mit unterschiedlichsten Hintergründen bei Domberger Brot-Werk, die meisten sind quer ins Handwerk eingestiegen und hatten vorher schon andere Berufe. Über den herkömmlichen Weg wären sie vermutlich nicht zu Bäcker*innen und Multiplikator*innen von traditionellen Backwerk geworden. So wird bei Domberger Handwerk wiederbelebt, ein Brötchen und ein Brot und eine Brezeln nach der anderen.

“Und wo wir grad bei Brezeln sind, davon hätte ich gerne einen Sack voll, die gibt’s nämlich leider in der Brotbrücke bei uns in der Markthalle nicht.”