Neues aus der Halle

Über Laib und Leben

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Noch eine Woche bis zur Cheese Berlin. Über 60 Käsemacher*innen, Affineure und Expert*innen aus ganz Europa (und darüber hinaus) machen sich in wenigen Tagen auf den Weg in die Markthalle Neun. In knapp 35 Programmpunkten sind sie kennenzulernen: Bühnengespräche, Verkostungen und Rundgänge bringen uns auf saftige Weiden, in feuchte Reifekeller und duftende Ställe dieses Planeten. Schon beim Gedanken an diese Zusammenkunft werde ich butterweich.

Denn dahinter steckt ein Jahr – und all die vorangegangenen Jahre – Arbeit. Nicht so körperlich und kräftezehrend wie in der Käserei oder im Stall, aber ebenso intensiv, langatmig und voller Vorfreude auf das gereifte Ergebnis. Ein Jahr voller Mails, Reisen, Telefonate, Planungstreffen mit unserer Kuratorin Ursula Heinzelmann. Standpläne zeichnen, Programmpunkte jonglieren, Augenlider zucken – und immer wiederkehrende Hochgefühl, wenn all die Puzzleteile zusammenkommen.

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Am Samstag vor der Cheese Berlin trifft sich das gesamte Netzwerk: Hier mit Ziegenhirtin Sabine Jürß, unserer Kuratorin Ursula Heinzelmann und Käser Stephan Ryffel

Und über all das hinweg füllt sich der Kühlschrank: Stück für Stück, mit Geschichten und Begegnungen in Form von Käsen, die alle Teil der Cheese Berlin sind. Ein Blick in den Kühlschrank:

Was liegt da fast vergessen hinter dem Gurkenglas? Überlebensnotwendiges: ein letztes Stück Feta PDO. Wirklich Guter ist hier schwer zu bekommen – aus Ziegen- oder Schafsmilch, langsam in Salzlake gereift, kein Frischkäse. Alt, schon allein weil man ihn in Griechenland seit dem Altertum so herstellt. Glücklicherweise kommen die Fässer dieses Jahr wieder direkt aus seiner Geburtsstätte angerollt.

Sachgemäß im Käsefach gelagert liegt ein Stück Alex von Albert Kraus. Das darf nie fehlen und wird wöchentlich am Stand von Bert & Boni auf Vorrat gekauft. Albert Kraus wird auch dieses Jahr wieder in stattlichen Lederhosen aus dem Allgäu gejettet kommen. Wie und warum und seit wann er Käse macht und wie das dann schmeckt, lässt sich am Slow Food Stammtisch herausfinden.

Ein Stück eigensinniger Blauschimmel aus Uruguay liegt einsam in der Tür, wo sonst die Eier hausen. Handgemacht von Martin Rosberg, mit eigenen Kulturen und eigenem Lab – das Gegenstück zu Sauerteig oder Naturwein, nur eben Käse. Diesen Blauschimmel hat mir Martin im September auf dem Käsefestival „Cheese“ im piemontesischen Bra in einer warmen Umarmung in die Hand gedrückt. Am 9. November sitzt er gemeinsam mit Trevor Warmedahl auf unserer Bühne, um von ihren Abenteuern rund um den Globus zu erzählen – immer auf der Spur der fermentierten Milch.

Zurück zum Naturkäse: Mehr dazu ist auf der Bühne zu erfahren, wenn Franziska Wetzlar vom Milchschafhof Pimpinelle mit Kolleg*innen spricht – darunter Anton Sutterlüty von Anton macht Ke:s und Matthias Hang vom Hof Qulibri. Mit Anton habe ich sechs Wochen auf der Alp im Bregenzerwald gearbeitet, jeden Morgen um 4 Uhr Butter gemacht, während er die über Nacht in hölzernen Gepsen gereifte Milch in Kupferkessel hievte. Und genau dort, zwischen Butterschleudern und Bergpanorama, rief mich die Markthalle Neun an – ob ich nicht zurück nach Berlin kommen und für sie arbeiten wolle.

Meine Reise begann jedoch schon 2020 auf der Cheese in Bra, als Eirný Sigurðardóttir mich mit Trevor „Milk Trekker“ Warmedahl bekannt machte. Ich konnte nicht anders, als ins Schwärmen zu geraten. Wenig später kündigte ich meinen Job, um mit Trevor zwischen Albanien, Italien und Österreich Käser*innen und Hirt*innen in ihrem Arbeits- und Lebensalltag zu begleiten und zu dokumentieren. Nach einem letzten sechswöchigen Abstecher nach Island, um Wikinger-Rassen, saftige Vulkanweiden und rebellische Käsemacher*innen kennenzulernen, trat ich schließlich – dem Ruf der Markthalle folgend – meine Rückreise nach Berlin an.

Trevor wurde so zu einem wichtigen Meilenstein meiner Käse-Obsession. 2021 bin ich ihm auf seine Abenteuer gefolgt – sechs Monate, davon sechs Wochen im wilden Westen Siziliens. Wir haben mit der Familie Cangemi gelebt, Schafe gehütet und Vastedda della Valle del Belice gemacht – ein unheimlich seltener Pasta-Filata-Käse aus Schafsmilch. Dieses Jahr findet dieser seltene Schatz erstmals seinen Weg in meinen heimischen Kühlschrank: La Vastedda  ist neben anderen unterschätzten, italienischen Hochkarätern am Stand von LOST Cheese in Europe zu entdecken. Zum anderen seltenen Schatz zurückkommend: Eirny bringt gemeinsam mit Winzer Martin Tesch isländische Käse mit Riesling von der Nahe zusammen – es könnte zu gustatorischen Vulkanausbrüchen kommen.

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2022 auf der Bühne mit Käse-Experte und Aktivist Carlos Yescas: Dank ihm darf ich seit 2021 Jurorin bei den World Cheese Awards sein

Jedes Jahr kommen einige meiner biografischen Wegweiser wieder – solche, die wissen, dass man durch Käse die Welt ein bisschen besser verstehen kann. Eine weitere: Sabine Jürss – Ziegenhirtin, Käserin und mein persönliches Orakel in Gummistiefeln. Als ich 2020 nicht wusste, wohin mit mir, wusste Sabine es umso mehr. Wir standen am Melkstand, zwischen Ziegenstall und Käserei, als sie sagte: „Raus! Losgehen!“ Wohin? In die weite Welt des Käses, natürlich. Nur um dann – wenig überraschend – herauszufinden (was Sabine längst wusste): Mein Platz ist genau hier. In der Markthalle Neun. Zwischen Käselaiben und denen, die sie machen.

Die Bestätigung ist jedes Jahr die Cheese Berlin. Ein Jahr – und jedes Jahr aufs Neue – arbeiten wir im Team darauf hin, diese Plattform möglich zu machen. Nicht nur außergewöhnliche und spektakuläre Käsesorten nach Berlin zu bringen, sondern all die Menschen, die sich für ihn begeistern, ihn trotz aller Widerstände in einem entfremdeten System auf persönliche und hingebungsvolle Weise herstellen. Und während ich das alles aufschreibe, sehe ich, wie sich all diese Erlebnisse im Kühlschrank zu einem perfekten Laib zusammenfügen: viele Jahre Arbeit, Begegnungen und Geschichten, gepresst, gereift und bereit, geteilt zu werden.

Volle Transparenz – diese Käse befinden sich ebenfalls in meinem Kühlschrank: 

  • Lincolnshire Poacher, den mir Hero Hirsh zum Geburtstag mitgebracht hat. Ihres Zeichens Cheesemonger der Queen a.D. und hat kürzlich die erste Käse-Fließband-Bar Deutschlands eröffnet: Pick & Cheese (auch auf der Cheese). 

  • Schafskäse Pi – gibt’s bei Lionel “ Le Fettschmecker”. Handwerklich hergestellt von Quesos De Hualdo, unbedingt auf der Cheese probieren – da fliegen einem die Löffel weg

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