Über Laib und Leben
Achso – wer schreibt hier eigentlich? Gestatten: Carina. Ich bin Teil der Organisation der Cheese Berlin, schreibe diesen Newsletter und freue mich, euch ein paar Schmanckerl zu präsentieren.
Noch eine Woche bis zur Cheese Berlin. Über 60 Käsemacher*innen, Affineure und Expert*innen aus ganz Europa (und darüber hinaus) machen sich in wenigen Tagen auf den Weg in die Markthalle Neun. In knapp 35 Programmpunkten sind sie kennenzulernen: offene Bühnengespräche, Verkostungen, Seminare, Rundgänge, eine Live-Käse-Perfomance und eine Ausstellung bringen uns auf saftige Weiden, in feuchte Reifekeller und duftende Ställe dieses Planeten. Schon beim Gedanken an diese Zusammenkunft werde ich butterweich.
Denn hinter der Cheese Berlin steckt ein Jahr – und all die vorangegangenen 13 Jahre – Arbeit. Nicht so körperlich und kräftezehrend wie in der Käserei oder im Stall, aber ebenso intensiv, langatmig und voller Vorfreude auf das gereifte Ergebnis. Ein Jahr voller Mails, Reisen, Telefonate, Planungstreffen mit unserer Kuratorin Ursula Heinzelmann. Standpläne zeichnen, Programmpunkte jonglieren, Augenlider zucken – und das immer wiederkehrende Hochgefühl, wenn all die Puzzleteile zusammenkommen.
Und über all das hinweg füllt sich der Kühlschrank: Stück für Stück, mit Geschichten und Begegnungen in Form von Käsen, die alle Teil der Cheese Berlin sind. Ein Blick in den Kühlschrank verrät, was uns dieses Jahr auf Deutschlands größtem Käsefestival erwartet:
Verkosten, Kennenlernen, Staunen: Wo sonst liegen zentnerschwere Laibe direkt neben denen, die sie händisch ins Leben bringen?
Waschechter Feta PDO
Was liegt da fast vergessen hinter dem Gurkenglas? Überlebensnotwendiges: ein letztes Stück Feta PDO. Wirklich Guter ist hier schwer zu bekommen – aus Ziegen- oder Schafsmilch, langsam in Salzlake gereift, kein Frischkäse. Alt, schon allein weil man ihn in Griechenland seit dem Altertum so herstellt. Glücklicherweise kommen die Fässer dieses Jahr wieder direkt aus seiner Geburtsstätte angerollt.
Allgäuer Käseadel: Alex von Albert Kraus
Sachgemäß im Käsefach gelagert liegt ein Stück rahmig-cremiger "Alex" von Albert Kraus – die Rinde wäscht er mit handverlesenen Kräutern und einem Holunderblütenlikör. Der hat vor allem in den USA zu großen Käseruhm gefunden. Diese Hollywoodstar darf in keinem Kühlschrank fehlen und sollte wöchentlich am Stand von Bert & Boni auf Vorrat gekauft werden. Albert Kraus wird auch dieses Jahr wieder in stattlichen Lederhosen aus dem Allgäu gejettet kommen. Wie und warum und seit wann er Käse macht, wie das dann schmeckt und "how he made it in Hollywood", lässt sich am Slow Food Stammtisch herausfinden.
Naturkäse aus Uruguay
Ein Stück eigensinniger Blauschimmel aus Uruguay liegt einsam in der Tür, wo sonst die Eier hausen. Handgemacht von Martin Rosberg, mit eigenen Kulturen und eigenem Lab – das Gegenstück zu Sauerteig oder Naturwein, nur eben Käse. Diesen Blauschimmel hat mir Martin im September auf dem Käsefestival „Cheese“ im piemontesischen Bra in einer warmen Umarmung in die Hand gedrückt. Am 9. November sitzt er gemeinsam mit dem ständig reisenden Käse-Dokumentarschreiber Trevor Warmedahl auf unserer Bühne, um von ihren Abenteuern rund um den Globus zu erzählen. Diese beiden Käsevirtuosen sind stets auf der Spur der fermentierten Milch, irgendwo zwischen Abenteuer, Forschung, Leidenschaft und unablässiger Haltung.
Ob geschmackliche Herausforderung oder wohlige Gaumenfreude: Käse verbindet und erweitert den Horizont
Käse mit Haltung
Um Haltung geht’s auch bei Franziska Wetzlar vom Milchschafhof Pimpinelle. Sie spricht auf der Bühne mit Kolleg*innen wie Anton Sutterlüty (Anton macht Ke:s) und Matthias Hang (Hof Qulibri) über „Naturkäse“. Anton macht Käse im Bregenzerwald, wo die Milch noch in hölzernen Gepsen reift und Butter um vier Uhr morgens geschlagen wird – Käsehandwerk in seiner reinsten Form. An seinem Stand lässt sich das Bregenzerwälder Bergpanorama im Käse kosten.
Käse als Vulkanausbruch
Eirný Sigurðardóttir entspringt dem Land von Eis und Feuer, dem mittlerweile – dank Ihres unermüdlichen Aktivismus auch käsemäßig mehr als Formkäse entspringt. In Island und weit darüber hinaus kennt sie jeder als die Iceland Cheese Queen – und wer sie jemals getroffen hat, wird verstehen, warum. Um Wikinger-Rassen, saftige Vulkanweiden und rebellische Käsemacher*innen geht es bei der Cheese Berlin, wenn sie gemeinsam mit Winzer Martin Tesch isländische Käse mit Riesling von der Nahe zusammenbringt – es könnte zu gustatorischen Vulkanausbrüchen kommen.
Neue Kühlschrankbewohner ab 09.11.
Der wilde Westen Siziliens: hier lebt die Familie Cangemi, hütet Schafe und macht daraus La Vastedda della Valle del Belice – ein unheimlich seltener Pasta-Filata-Käse aus Schafsmilch. Dieses Jahr findet dieser seltene Schatz erstmals seinen Weg in meinen heimischen Kühlschrank: La Vastedda ist neben anderen unterschätzten, italienischen Hochkarätern am Stand von LOST Cheese in Europe zu entdecken.
Oscypek ist wohl der polnische Vorzeigekäse – traditioneller Schafskäse aus der Tatra, der geräuchert wird und von der Textur an italienische Pasta Filata Käse erinnert. Aber Polen hat noch viel mehr zu bieten, und wir wissen oft viel zu wenig darüber. Dieses Jahr ändern wir das! Gleich fünf polnische Käsereien kommen zu uns. Ihr könnt sie am Stand kennenlernen oder bei unseren „Meet the Käse“-Sessions alles über ihre Produkte und Arbeit erfahren.
Und zum Schluss, der Publikums-Hit! Gorgonzola! Al contadino non far sapere quanto è buono il formaggio con le pere – verrate dem Bauern nicht, wie gut Käse mit Birnen schmeckt. Ein italienisches Sprichwort. Wir verraten euch trotzdem etwas: Der Gorgonzola von Tosi braucht keine Birne, um zu glänzen. Er ist so cremig und charaktervoll, dass man ihn am liebsten gar nicht teilen möchte – weder mit Familie noch mit Mitbewohner*innen. Und: Tosi ist der letzte Betrieb, der Gorgonzola handwerklich herstellt!
Aufregende Neuzugänge sind jedes Jahr dabei, doch viele kehren zurück und gehören zum festen Repertoire der Cheese Berlin: Menschen wie Sabine Jürss – Ziegenhirtin, Käserin, Philosophin in Gummistiefeln. Sie und viele andere zeigen, worum es auf der Cheese Berlin wirklich geht: um Handwerk und Haltung, um Geschichten aus Milch und Zeit – und um die Lust, sie mit den Besuchenden zu teilen.
Die Cheese Berlin ist ein Ort, an dem all diese Geschichten, Begegnungen und Laibe zu einem großen Ganzen werden. Wer hier vorbeikommt, erlebt Käse nicht nur als Produkt, sondern als Zeugnis von Leidenschaft, Wissen und Mut.
Im Team arbeiten wir jedes Jahr darauf hin, diese Plattform möglich zu machen. Nicht nur außergewöhnliche und spektakuläre Käsesorten nach Berlin zu bringen, sondern all die Menschen, die sich für ihn begeistern, ihn trotz aller Widerstände in einem entfremdeten System auf persönliche und hingebungsvolle Weise herstellen.
Und während ich das alles aufschreibe, sehe ich, wie sich all diese Erlebnisse im Kühlschrank zu einem perfekten Laib zusammenfügen: viele Jahre Arbeit, Begegnungen und Geschichten, gepresst, gereift und bereit, geteilt zu werden.