Geschichten, die der Käse erzählt.
Wenn Ursula Heinzelmann nicht gerade dem Käse aus dem Tal der Emme auf der Spur ist oder in der Auvergne seltene Kuhrassen und die dazugehörigen, uralten Käsesorten erforscht, stehen die Chancen gut, ihr in der Markthalle Neun zu begegnen.„Die Vorbereitungen für das Cheese Berlin Programm laufen auf Hochtouren.“, sagt sie, während sie die großen Alpkäse-Laibe bei Alma in Augenschein nimmt. „Der Käseeinkauf in der Halle ist da willkommenes Entspannungsprogramm.“
Dabei muss es für Heinzelmann nicht immer der außergewöhnlichste Käse sein. Ihre Kindheit in West-Berlin war geprägt von Harzer und Gouda. Doch es sind die weniger bekannten Exemplare, die sie auf ihre Recherchereisen in entlegene Regionen der Welt bringen. Sie erforscht Käse, die man auf dem durchschnittlichen Berliner Käsebrett vergeblich sucht – und bringt sie in wohlduftenden bis rezent-riechenden Reisetaschen in die Hauptstadt.
Diese Mitbringsel teilt sie in ihren monatlichen „Heinzelcheesetalks“ in der Markthalle Neun, bei denen sie zur laktischen Horizonterweiterung einlädt. „Wer den Blick auf die Welt des Käses noch mehr ausweiten will, Käse und Käsemacher*innen kennenlernen, die sonst weite Reisen erfordern: 3. November ganz dick im Kalender markieren!“ sagt Heinzelmann mit strahlenden Augen.
3. November, das bedeutet: Cheese Berlin, ein großes Käsefest, das seit 2012 in der Markthalle Neun stattfindet. Unter der Kuration von Ursula Heinzelmann hat es sich zu einer der wichtigsten Veranstaltungen rund um handwerklich hergestellten Käse entwickelt. Jedes Jahr kommen Käse-Macher*innen, Fachleute und Begeisterte aus ganz Europa und darüber hinaus nach Berlin-Kreuzberg, um das Käsehandwerk zu feiern. Auf einem Forum mit weitreichendem Rahmenprogramm – eine Ode an das Handwerk, ein Fest der Traditionen und der Geschichten hinter den Käsen, die sich hier auf den Holztischen stapeln.
„Käse hat das Potenzial, unglaubliche Geschichten zu erzählen. Und wenn ich von Geschichten spreche, meine ich nicht nur die der Menschen, sondern die des Käses selbst. Warum ist er so entstanden? Wo kommt er her?“
Inmitten dieser Festlichkeiten steht Ursula Heinzelmann als leidenschaftliche Fürsprecherin der handwerklichen Käsekultur – über die sie seit langem auch schreibt, und zwar so, wie viele andere über Wein schreiben. Sie ist nicht nur Kuratorin der Veranstaltung, sondern auch Autorin, Food-Historikerin, Sommelière und Köchin. „Der Käse ist, wie so vieles im Leben, durch einen Glücksfall zu mir gekommen,“ lächelt sie. „Er hat das Potenzial, unglaubliche Geschichten zu erzählen. Und wenn ich von Geschichten spreche, meine ich nicht nur die der Menschen, sondern die des Käses selbst. Warum ist er so entstanden? Wo kommt er her?“
Dieser neugierige, fast detektivische Ansatz führt Heinzelmann immer wieder in die spannendsten Ecken Europas und der Welt. Sie sucht nach den Ursprüngen, taucht tief in das ein, was die Käse so besonders macht. „Jedes Mal, wenn ich einen neuen Käse erforsche, denke ich darüber nach, was die Landschaft, die Tiere und die Menschen miteinander verbindet, um genau diesen Ausdruck im Käse entstehen zu lassen. Käse erzählt ursprünglich immer vom Überleben an einem bestimmten Ort, also unter bestimmten Bedingungen, mithilfe von Wiederkäuern, in einer symbiotischen Beziehung. Es gilt nur, richtig hinzuhören.“
„Wenn man den Käsemacher*innen zuhört und erfährt, unter welchen Bedingungen sie arbeiten, versteht man plötzlich viel mehr über das, was da vor einem auf dem Teller oder Brett liegt“, betont Heinzelmann.
Ein Beispiel, das Heinzelmann besonders begeistert, ist der diesjährige Feta-Schwerpunkt der Cheese Berlin: “Worüber ich mich richtig freue, ist, dass wir dieses Jahr echten, im Holzfass gereiften Feta PDO auf der Cheese Berlin haben, das hatten wir noch nicht. Die meisten von uns hören da nämlich nicht wirklich hin und denken: "Das ist Frischkäse, den bröckelt man über Salat und gratiniert irgendwas damit.” Total verkannt, weil Feta eben kein Frischkäse ist, sondern ein gereifter Weichkäse. Er kommt aus Griechenland, spricht also griechisch. Was heißt bei einem Käse “griechisch sprechen”? Hirten, Schafe, Ziegen, weil die Landschaft größtenteils nicht gerade grün und üppig ist. Im Gegensatz zu Kühen, die satte Weiden wollen, finden Schafe und Ziegen hingegen beinahe überall etwas. Optimale Landnutzung. Die Milch wird zu Feta verarbeitet: Konservierungsmethode. Die Lagerung in Salzlake stammt aus den Zeiten vor modernen Kühlmethoden, und je länger gelagert, desto besser ist er. Die besten Feta reifen außerdem in Holzfässern. Da verbirgt sich also sehr, sehr viel, und wir haben dieses Jahr einen richtigen Schwerpunkt auf den Feta gesetzt, das ist wirklich eine Geschmacksreise.”
Die Cheese Berlin bringt nicht nur Käse nach Berlin, sondern auch die Geschichten der Menschen, die ihn erschaffen – und damit ein Stück ihrer Welt. Käse kann weit mehr als nur ein Produkt sein, das man kauft und isst. Es ist ein kulturelles Erbe, das in der Landschaft und den Menschen verwurzelt ist, die ihn herstellen. „Wenn man den Käsemacher*innen zuhört und erfährt, unter welchen Bedingungen sie arbeiten, versteht man plötzlich viel mehr über das, was da vor einem auf dem Teller oder Brett liegt“, betont Heinzelmann.
„Für mich ist die Cheese Berlin ein Ort des Austauschs“, sagt Heinzelmann. „Ein Ort, an dem sich Menschen begegnen, die sich für Käse begeistern – egal ob sie ihn herstellen oder genießen.“
Diese Geschichten – von Hirten in Griechenland, die seit Jahrtausenden Feta in Holzfässern reifen lassen, oder von Käsemacherinnen in der Auvergne, die alte Kuhrassen pflegen – lassen haltbar gemachte Milch zu einem Erlebnis werden, das weit über den Genuss hinausgeht. Auf der Cheese Berlin bekommen die Produzentinnen die Gelegenheit, ihre Geschichten direkt zu erzählen und mit einem Publikum zu teilen, das die handwerkliche Herstellung zu schätzen weiß.
„Für mich ist die Cheese Berlin ein Ort des Austauschs“, sagt Heinzelmann. „Ein Ort, an dem sich Menschen begegnen, die sich für Käse begeistern – egal ob sie ihn herstellen oder genießen.“ In diesen Begegnungen sieht sie den wahren Wert der Veranstaltung. Es geht nicht nur darum, Käse zu kaufen oder zu probieren, sondern um das Miteinander, das Teilen von Wissen und Traditionen, und darum, die Bedeutung von handwerklich hergestelltem Käse als Verbindung zu Landschaft und Natur zu würdigen. „Das macht die Cheese Berlin zu einem Fest, das den Blick übers Käsebrett hinaus wagen lässt und uns mit jedem Stück Käse einen Teil der Welt besser verstehen lässt.“