Neues aus der Halle
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Von Bilanzen zum Braukessel

Ein Plausch auf dem Markt mit Brauerin Lisa Scholz

Freitag um 13 Uhr. Während oben Käse und Kartoffeln ihren Weg in die Einkaufskörbe Kreuzbergs finden, gärt und brodelt es im Keller der Markthalle Neun. Lisa Scholz steht mit siebgedrucktem Heidenpeters-Pullover, kurzer Jeans und wasserfesten Stiefeln zwischen stählernen Braukesseln und Lagerungstanks. Konzentriert nimmt sie Proben aus den fermentierenden Bieren: „Ich messe den Sud von zwei Bieren. Ich will wissen, wie viel Zucker die Hefe schon vergoren hat. Mit der Dichtemessung bekomme ich den Extrakt in Grad Plato. Wenn die Werte nicht stimmt, gären die Biere in der Flasche weiter und es knallt.“

Auch bei Lisa hat es geknallt, als sie sich für ihre unverhoffte Leidenschaft entschieden hat – das Brauhandwerk. Lisa hat einen außergewöhnlichen Weg in die Welt des Bierbrauens gefunden. Nach einem dualen Studium in Finance und Controlling, das sie erfolgreich abgeschlossen hat, entdeckte sie ihre wahre Liebe: das Brauen. Der Übergang von der Finanzwelt zum Braukessel war für Lisa nicht nur ein beruflicher Wechsel, sondern ein tiefgreifender Wandel, zusagen eine persönliche “Fermentation”.

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Aufwachsen im Zeichen der Selbstversorgung

Lisa wuchs in einem Umfeld auf, das stark landwirtschaftlich geprägt war. Ihre Großeltern lebten vom Eigenanbau von Obst- und Gemüse und vermittelten ihr von klein auf ein tiefes Verständnis für handwerkliche Tätigkeiten und den Umgang mit Lebensmitteln. „Das war eine entscheidende Erfahrung für mich“, erinnert sich Lisa. „Ich habe gelernt, dass man mit den eigenen Händen viel erreichen kann und dass es etwas ganz Besonderes ist, selbst hergestellte Produkte zu genießen.“

Diese Erfahrungen formten nicht nur ihre Kindheit, sondern auch ihren späteren Werdegang. Trotz ihrer Entscheidung, zunächst einen ganz anderen beruflichen Weg einzuschlagen, blieb die tiefe Verbindung zur Natur und zur handwerklichen Arbeit, die sie von ihren Großeltern mitbekommen hatte, ein wesentlicher Teil ihrer Identität.

Der Weg von Excel-Tabellen zum Gärtank

Als Kölsche Jeck spielte Bier schon früh eine zentrale Rolle in Lisas Leben, aber ihre Beziehung dazu ging über das bloße Trinken hinaus. „In der kölschen Karnevalskultur ist Bier eine große Nummer, aber für mich war es mehr. Die Vielfalt und das Handwerk hinterm Produkt haben mich mitgenommen. Ich habe in verschiedenen Städten Braukurse gemacht oder an Biertastings teilgenommen.“ Diese Neugier und Leidenschaft entwickelten sich über die Jahre zu einem ernsthaften Interesse, das sie schließlich – wenn auch über Umwege – in die Welt des handwerklichen Brauens führte.

„Ich hatte wirklich überhaupt keinen Plan, was ich machen wollte“, gesteht Lisa. „Ich weiß auch nicht, warum ich nicht damals schon in diesen Ökosektor gegangen bin. Ein Orientierungsjahr hätte mir wahrscheinlich gutgetan.“ Ihr Studium im Finanzbereich war zunächst eine pragmatische Entscheidung – gleichzeitig betont sie, dass Ihre damalige Chefin Ute Hartmann eine starke Mentorin war und sie ihr verdankt : „Dennoch kam die Idee mit den Zahlen daher, dass ich das im Abitur als Schwerpunkt hatte – Mathe und Bio. Das lag mir näher als Sprache oder Kunst.“

Schließlich erkannte Lisa, dass ihr trotz des erfolgreichen Starts im Finanzsektor etwas fehlte. „Ich habe mich oft gefragt, ob das wirklich alles ist“, sagt sie rückblickend. Nach intensiven Erfahrungen in verschiedenen Bereichen – von der Gastronomie über die Arbeit als Skilehrerin und einem Studium in Umweltingenieurwesen und ökologischem Gartenbau bis hin zu Praktika auf verschiedenen Höfen, brachte ihre Neugier sie in die Welt des Brauens. „Als ich das erste Mal richtig mit dem Brauen in Berührung kam, wusste ich: Das ist es“, erzählt sie. “Dieser Moment veränderte alles.” Lisa entschied, ihren Weg neu auszurichten und eine Ausbildung zur Brauerin zu beginnen.

Ihr erster Schritt in diese neue Richtung führte sie nach Erfurt, wo sie erste praktische Erfahrungen sammelte. Über den Kreativbrauerbund und den Heimathafen in Erfurt kam dann der Kontakt zur Brauerei Heidenpeters zustande. „Mein Chef in Erfurt, meinte, das würde wie Arsch auf Eimer passen“, lacht sie. Ein Telefonat mit Johannes Heidenpeter und ein Treffen in der Markthalle später war klar: „Es war Liebe auf den ersten Blick – sowohl vom Team als auch vom Laden selbst. Nicht zu clean, nicht zu perfekt, liebenswert und einfach genau richtig.“ Der Ausbildungsbeginn war beschlossen.

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Die Ausbildung zur Brauerin

Im schulischen Alltag erlebt Lisa ein eher atypisches Klassenbild. „Die meisten in meiner Klasse sind Quereinsteiger, haben schon Ausbildungen oder Studium hinter sich. Es ist eine kleine, aber lehrreiche Klasse. Der Unterricht ist intensiv und wir können uns häufig Themen aussuchen, die uns besonders interessieren – aber nur weil die Klasse unüblich klein ist. Auch wenn es einen Lehrplan gibt, werden spannende Themen besonders behandelt.“

Obwohl der Fokus der Ausbildung laut Lehrplan nicht auf kleinen, handwerklichen Brauereien liegt, sondern größere Arbeitsrealitäten behandelt, sieht Lisa den Vorteil darin, ein umfassendes Verständnis für die Branche zu entwickeln. „Wir lernen alles über große Brauereien und Mälzereien, aber das hilft uns, auch die handwerklichen Aspekte besser zu verstehen. Auch wenn wir keine hochmodernen Anlagen haben, ist es wichtig, verschiedene Bereiche der Branche kennenzulernen.“ Dennoch ist Lisas Vorliebe klar: „In so Riesenanlagen ist es egal, ob da Milch, Joghurt, Saft oder Bier durchläuft. Der Bewegungsaspekt war für mich ganz wichtig, eben nicht mehr am Schreibtisch zu sitzen. Hier fasst man Fässer an, ist mit dem Produkt und den Rohstoffen in Kontakt. Für mich wäre es ein Horror, in so einer Giganto-Produktionshalle zu sein, mit Ohrstöpseln und Helm und vor einem Bildschirm zu sitzen, um drei Touchscreens zu bedienen. Das war einer der Gründe, warum ich meinen alten Beruf verlassen habe.“

Arbeitsalltag bei Heidenpeters und Zukunftspläne

Lisa ist begeistert von ihrem Arbeitsalltag in der Halle und der Brauerei. „Hier zu arbeiten ist eine fantastische Gelegenheit, sich weiter zu vernetzen und direkt an Prozessen teilzunehmen“, sagt sie. Ihre Ausbildung und der Lernort Markthalle Neun decken nicht nur die technischen Aspekte des Brauens ab, sondern umfassen ganzheitliches Lernen und den Austausch mit anderen Lebensmittelhandwerker*innen. „Ein echtes Highlight sind die außergewöhnlichen Möglichkeiten, die Johannes uns bietet“, schwärmt Lisa. „Wir machen regelmäßig Ausflüge zu anderen Brauereien und in Weinberge – und nehmen an Veranstaltungen wie dem Feldtag für Hülsenfrüchte teil. Johannes bringt immer wieder kreative Ideen ein – von der Herstellung von Wein und Cider bis hin zu anderen innovativen Projekten. Es ist einfach großartig, dabei zu sein und alles aufzusaugen.“

Und genau in dieser Verbindung von Tradition und Innovation sieht Lisa ihre Zukunft. Sie möchte ihre Kenntnisse weiter vertiefen und in Zukunft ein eigenes Projekt im Bereich des nachhaltigen Bierbrauens starten. „Ich finde es spannend, Konzepte zu entwickeln, die sowohl traditionell als auch innovativ sind. Vielleicht werde ich in der Zukunft ein Projekt auf die Beine stellen, das verschiedene Gewerke vereint und nachhaltige Praktiken im Brauen fördert. Ich habe auf jeden Fall Bock, irgendwann mal alles miteinander zu verbinden – die ganzen Berufe und Bereiche, die mich interessieren und in denen ich Erfahrungen gesammelt habe. Im Moment bin ich noch dabei, die Puzzleteilchen zusammenzusetzen. Es geht mir darum, ein nachhaltiges und sozial gerechtes Konzept zu entwickeln, in dem Landwirtschaft, Handwerk und das Brauen eine zentrale Rolle spielen. Ob ich mich selbstständig machen werde oder in einem Unternehmen arbeite, das diesen Werten folgt, steht noch offen.“

Lisas Weg vom Finanzwesen zum Braukessel zeigt, dass es sich manchmal lohnt, den Sud des Lebens neu aufzusetzen. Statt Excel-Tabellen füllt sie jetzt Gärtanks – und das mit vollem Einsatz. Es muss ja nicht immer alles nach Plan laufen, solange am Ende die Werte stimmen.

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