Märkte verbinden!
Wenn morgens die Tore der Markthalle Neun geöffnet werden, öffnet sich nicht nur ein Raum in Kreuzberg – es öffnet sich ein Tor zur Welt. Denn so sehr ein Markt im Lokalen verwurzelt ist, so sehr lebt er von Bewegung: von Menschen, die mit ihren Geschichten, Kulturen, Nationalitäten und Erfahrungen hier arbeiten. Von Produkten, die mal aus dem Berliner Umland stammen – und mal von weit her kommen.Denn Märkte stehen auch für den internationalen Austausch von Lebensmitteln. Und für Ideen, die im Miteinander entstehen – zwischen Erzeuger*innen und Konsument*innen, zwischen Nachbarschaft und Stadtgesellschaft, Märkten hier und anderswo.
Lebendige Märkte sind keine Inseln. Sie sind Knotenpunkte, an denen Stadt und Land, Erzeugung und Genuss, Migration und kulturelle Vielfalt, Geschichte und Zukunft aufeinandertreffen – und an denen wir gemeinsam aushandeln, wie ein gutes Leben für viele aussehen kann. Märkte verbessern nicht nur die öffentliche Gesundheit durch Nahversorgung mit frischen Lebensmitteln, sie tragen auch zur sozialen Gesundheit bei: als Orte der Begegnung, des Austauschs, der Teilhabe. In vielen Städten beleben sie ganze Viertel, besonders dort, wo es an Aufenthaltsqualität, ökonomischer Infrastruktur oder Zugang zu gesunden Lebensmitteln fehlt.
In die Tiefe dieser Themen ging die 12. International Public Markets Conference (IPMC), die vom 12. bis 14. Juni 2025 in Milwaukee, Wisconsin, stattfand.
Organisiert von Project for Public Spaces und gemeinsam ausgerichtet mit dem Milwaukee Public Market, brachte die Konferenz über 250 Marktgestalter*innen aus 102 Städten und 9 Ländern zusammen. Unter dem Titel More Than a Market drehte sich alles um die Frage, wie öffentliche Märkte weltweit soziale Isolation verringern, lokale Gemeinschaft und Wirtschaft stärken und nachhaltige Ernährungssysteme fördern können.
Ein besonders bewegender Moment: Die traditionelle Global Markets Roundup Session wurde in diesem Jahr etwas anders gestaltet. Viele unserer internationalen Kolleg*innen konnten aufgrund von Reiseeinschränkungen oder politischen Hürden nicht in die USA einreisen. Stattdessen sendeten sie Video-Grußbotschaften – aus Nepal, Australien, Vietnam, Mexiko, Kanada, Uganda, Lettland, Spanien und Indien. Eine kleine, aber kraftvolle Geste globaler Verbundenheit – und ein starkes Zeichen dafür, dass Marktkultur weltweit Gemeinschaft bedeutet, auch über Grenzen hinweg.
Vor Ort in Milwaukee, am Freitag, dem 13. Juni, stand dann ein ganzer Tag im Zeichen des Austauschs auf Augenhöhe: In den Räumen des Institute of Art & Design (MIAD) trafen globale Stimmen auf lokale Vordenker*innen, um in einer Vielzahl von Breakout-Sessions über die Rolle öffentlicher Märkte in ihren jeweiligen Kontexten zu diskutieren. Ob Panels, Kurzvorträge oder praxisnahe Workshops – das Format war so vielfältig wie die Themen. Es ging um Marktmanagement, Skalierung, Placemaking, Evaluation von Marktsystemen, mentale Gesundheit und vieles mehr. Ein dynamischer Tag, der den Blick geschärft und neue Perspektiven eröffnet hat.
Wir als Markthalle Neun waren mit dabei – und nicht nur zum Zuhören: Im Panel “More Than a Market: Fertile Ground for Placemaking” hat Olga Graf unsere Perspektive eingebracht. Sie sprach über die Rolle von Märkten als Orte des sozialen Miteinanders, über Beteiligungsprozesse, Bildungsformate wie unsere Kochschule Neun und über den Balanceakt zwischen Gemeinwohlorientierung und wirtschaftlicher Tragfähigkeit. Der Blick aus Berlin traf auf große Resonanz – denn viele Herausforderungen sind global ähnlich gelagert: steigende Kosten, Klimawandel, der die Ernten beeinträchtigt, Aussterben kleinteiliger Betriebe und des Handwerks, fehlende politische Unterstützung.
Neben spannenden Panels und Vorträgen war vor allem der informelle Austausch mit Vertreter*innen anderer Märkte inspirierend: von London bis New York, von Tokyo bis Lima. Die Themen reichten von fairer Flächenvergabe über gemeinwohlorientierte Finanzierung bis hin zu innovativen Low-Waste-Konzepten. Das macht Mut auch lokal weiterzudenken.
Am letzten Konferenztag ging es dann raus in die Region: In sechs Exkursionen konnten die Teilnehmer*innen die Marktkultur Milwaukees und die landwirtschaftliche Vielfalt Wisconsins hautnah erleben.
Besonders beeindruckend war der Fondy Farmers Market, der seit über 100 Jahren ein zentraler Anker für die nördlichen Stadtteile Milwaukees ist. Mit mehr als 45.000 Besucher*innen pro Saison ist er ein lebendiger Treffpunkt, der den Zugang zu frischen, lokal angebauten und kulturell relevanten Lebensmitteln erleichtert. Darüber hinaus unterstützt der Markt regionale Bäuer*innen und Kleinunternehmen, fördert Gemeinschaftsverbindungen und trägt zu einem gesünderen Lebensstil bei – und wirkt so als wichtiger Knotenpunkt zwischen Produzent*innen und Konsument*innen sowie als Motor für die lokale Wirtschaft.
Ein weiteres Highlight war der Besuch des Sherman Phoenix, eines innovativen Gemeinschaftsprojekts in einem umgebauten Bankgebäude. Dieses bundesweit anerkannte Modell steht für gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung, inklusive Wirtschaftsförderung und nachhaltigen Wohlstand in der Nachbarschaft. Seit seiner Eröffnung bietet der Sherman Phoenix fast 50 Unternehmen Raum, ihre Visionen umzusetzen und die Gemeinschaft zu stärken – oft durch gezielte Beratung, Begleitung und die Ermöglichung von Unternehmensgründungen, insbesondere für Menschen aus der Nachbarschaft.
Jede der sechs Touren zeigte eindrücklich, wie Märkte als wirtschaftliche Motoren, kulturelle Ankerpunkte und lebendige Treffpunkte der Nachbarschaft fungieren. Die Teilnehmenden konnten Themen wie urbane Landwirtschaft, Unternehmertum, die Belebung öffentlicher Räume und Marktdesign in drei Städten Wisconsins – Milwaukee, Madison und Green Bay – erleben und diskutieren. Alle Touren endeten mit einem gemeinsamen Abschlussfest im Zócalo Food Truck Park. Dort stellte Kelly Verel, Co-Geschäftsführerin von Project for Public Spaces, in ihrer Abschlussrede die vielleicht wichtigste Frage des Tages: „My most important question for all of you is, did you have fun?“ – was mit lautem Jubel beantwortet wurde.
Und: Berlin bewirbt sich! Denn was wäre naheliegender, als die nächste International Public Markets Conference 2027 in eine Stadt zu holen, die über 250 Märkte zählt, eine lebendige Food- und Gründungslandschaft bietet – und gleichzeitig mit drängenden Fragen von Stadtentwicklung, Teilhabe und Gerechtigkeit konfrontiert ist? Wir finden: Berlin hat viel zu zeigen – und noch mehr zu diskutieren und zu lösen. Die Bewerbung läuft!
Was das konkret für eine Stadt bedeuten kann, zeigt das Beispiel Milwaukee: Für die Organisation jeder Konferenz achtet Project for Public Spaces darauf, lokal und vielfältig einzukaufen – sei es bei Catering, Technik oder Programmpunkten. In Milwaukee wurden so rund 112.000 Dollar direkt an lokale Unternehmen und gemeinnützige Organisationen vergeben. Die Besucher*innen der Konferenz gaben laut Visit Milwaukee zusätzlich etwa 283.000 Dollar während ihres Aufenthalts aus – insgesamt ergab sich ein wirtschaftlicher Effekt von über einer halben Million Dollar. Noch bedeutender aber ist der inhaltliche Impuls: Im Nachgang zur Konferenz entstand ein umfangreicher Analysebericht zur lokalen Food- und Gründungslandschaft, der mit Beteiligung von Studierenden und Marktakteur*innen gemeinsam erarbeitet wurde und nun als Grundlage für künftige Projekte in der Stadt dient.
Solche Impulse wünschen wir uns auch für Berlin. Eine Konferenz wie diese bringt die Stadt nicht nur international ins Gespräch, sondern auch lokal weiter – mit neuen Allianzen, Analysen mit klaren Anhaltspunkten und hoffentlich vielen neuen Ideen für die Zukunft unserer Berliner Märkte.