Im Namen des Brotes
Ein Gespräch mit Bäckermeister Ralf Tschentscher über den Status Quo des Bäckereihandwerks
Emsiges Treiben in der Domberger Brotbrücke. Schon zur Öffnung steht die Nachbarschaft für Brot, Brezeln und Zimtschnecken Schlange. Eine Schülerpraktikantin formt Brezeln, Teig wird bearbeitet, Brote verkauft. Bei jedem Arbeitsschritt kann in der gläsernen Bäckerei zugesehen werden. Am Ofen greift Bäckermeister Ben zum Messer und ritzt schwungvoll Muster in die Brotlaibe, bevor er mit helfender Hand ein langes Blech voll Beutebrote in den Ofen schiebt.
Zwischen laufender Produktion und Verkaufsgesprächen soll es um den Zustand des Backhandwerks gehen. Gesprächspartner Ralf Tschentscher ist Bäckermeister und hat schon mit 17 - vor über 30 Jahren - seine Ausbildung in der Nähe von Eisenhüttenstadt gemacht. “Da hat sich seitdem nicht wahnsinnig viel verändert.” sagt er. “Damals konnte ich mir aber immerhin eine Wohnung vom Ausbildungsgehalt leisten.” Aktuell liegt das Gehalt im ersten Lehrjahr bei ca. 680 Euro brutto im Monat. Ralf sieht darin die erste große Hürde für junge Menschen, sich für eine Ausbildung im Lebensmittelhandwerk zu entscheiden. “Wer noch zu Hause bei seinen Eltern wohnt, für den mag das eine Möglichkeit sein, aber wenn man nach Unabhängigkeit strebt, oder womöglich als Quereinsteiger in den Beruf will, dann ist das keine Option”.
Auszubildenden bei Domberger, die im dualen System der Handwerkskammer eine Ausbildung absolvieren, wird der Mindestlohn bezahlt - also weitaus mehr als das übliche Lehrlingsgehalt. In der Berufsschule lernen sie trotzdem nichts über Sauerteig oder Fermentation. Als Ralf damals seinen Meister gemacht hat, fährt er fort: “Da gab es einen Tag zum Thema “Backen nur mit Sauerteig.'' Ganz kurz angerissen. Es gab junge Ausbilder, die haben das angetriggert, aber die Alten haben da den Daumen draufgehalten. Qualität und besonders Inhalt der Lehre sind nicht auf dem aktuellen Stand und mit großer Tendenz industrieorientiert.” Dennoch möchte Ralf das System nicht in ein schlechtes Licht rücken. Er sieht enormes Potenzial im System der dualen Ausbildung: theoretisches Wissen in der Schule, dann praxisorientierte Anwendung in Betrieben.
Ob es Bestrebungen gibt, die Lerninhalte zu aktualisieren? Ralf ist auch im Gesellenprüfungsausschuss der Handwerkskammer und damit nah am Zentrum der offiziellen Ausbildung. “Langsam wird umgedacht, da gab es auch mal Workshops, um sich auszutauschen. Was wollen die Leute lernen? Was ist eine gute Ausbildung? Wie können Betriebe in neuen Lerninhalten mitgenommen werden?” Dennoch ist für Florian Domberger - der Gründer und Geschäftsführer - Ralf und Ben - die beiden Betriebsleiter - der Aufbau eines reformierten Ausbildungssystems der einzig logische Schluss. “Wir wollen natürlich auch auf lange Sicht, dass unsere Leute, die hier ausgebildet werden, später etwas in der Hand haben. Wir bilden gut aus. Das Feedback ist großartig. Hendrik, zum Beispiel, ist jetzt in Australien, hat da seine eigene Bäckerei. Der ist aus dem Ruhrpott hergekommen. Eigentlich Biochemiker. Ist danach noch zu Sironi, dann nach Bonn zu Max Kugel. Macht jetzt Brezel in Australien. Der hat das ganze System durchlaufen.”
Wie das interne Ausbildungssystem denn eigentlich aussieht? Die Ausbildung baut auf einem System der Fähigkeitsstufen auf. Auf Stufe Vier sind die Bäcker*innen dann in der Lage, die komplette Backstube zu führen. “Außerdem funktioniert die Ausbildung nach dem Regenerationsprinzip. Wer schon länger da ist, bringt das Gelernte den Neuen bei. In vier dezentralen Backstuben gibt es immer eine Person, die andere ausbildet. Letztlich sind aber alle ständig in Ausbildung. Das Lernen hört bei uns nicht auf. Auch nicht bei mir oder Florian.”
Die Ausbildungspläne haben die beiden selber geschrieben und entwickelt. In der Ausbildung wird direkt Verantwortung übernommen. Ab dem ersten Tag wird mit dem Teig gearbeitet. “Und niemand muss hier das erste Jahr lang nur Bleche schrubben. “Lehrjahre sind keine Herrenjahre", oder solche alten Sprüche sind nicht mehr zeitgemäß".
Aber verbleibt der Trend zum handwerklichen Backen in der Blase Berlin und wenigen anderen Orten? Ralf ist zuversichtlich und sieht die Rückbesinnung auf handwerkliches Backen mit minimalen Zutaten und hohen Qualitätsstandards als zukunftsweisend: “Ich hab’ zum Beispiel einen ehemaligen Arbeitskollegen, der arbeitet in einer großen Bäckerei, der hat das Rezept vom Beutebrot mit reingenommen. Es bewegt sich also schon etwas… Aber es gibt einfach nicht genügend gute Bäcker. Handwerk stirbt einfach aus, wenn wir nichts dagegen tun.”
Was hier dagegen getan wird, zeigt Ralf in der Bäckerei. Alle arbeiten fokussiert und in voller Verantwortung an Mehl, Teig, Ofen oder Verkaufsstand. Viele ehemalige Brotwerker haben sich mittlerweile selbstständig gemacht und sorgen dafür, dass das Bäckerhandwerk lebt. Momentan arbeiten 35 Leute mit unterschiedlichsten Hintergründen beim Domberger Brot-Werk. Die meisten im Quereinstieg. Über den herkömmlichen Weg wären sie vermutlich nicht zu Bäckerinnen und damit Multiplikatorinnen von Lebensmittelhandwerk geworden. So zeigt das Team Domberger, wie Handwerk wiederbelebt wird - Laib für Laib. Im Namen des Brotes.