Hopfen und Malz sind nicht verloren!
Ein Plausch auf dem Markt mit Brauerei-Auszubildenden Clemens
Wirklich gutes Bier. International wird dieses Land mit dem süffigen Wasser-Hopfen-Malz-Gemisch assoziiert. Deutschland, deine Biere: 6000 Sorten aus 1500 Braustätten, ungefähr 900 davon Kleinstbrauereien. Europaweit macht das Deutschland zum führenden Brauland. Doch wie steht es um Bier und Brauhandwerk?
Durchweg verzeichnet sich seit Jahrzehnten ein Konsumrückgang. Statt viel, wird besser getrunken. Von 2005 bis 2020 ist die Zahl der Mikrobrauereien, in denen Handwerk, Produktqualität und Vielfalt groß geschrieben werden, von 500 auf über 900 gewachsen. Eine davon ist die Heidenpeters-Brauerei im Keller der Markthalle Neun. Hier macht Clemens seine Ausbildung zum Brauer. Wie er in einer der ältesten handwerklichen Tätigkeiten gelandet ist, erzählt er mit einem Bierchen in der Hand:
“Mit 23 hab’ ich mein Studium zum Mediendesigner abgebrochen und 5 Jahre in Kambodscha verbracht. Geplant war das nicht. Gebucht hatte ich eigentlich nur für sechs Wochen. Aber dann bin ich irgendwie da hängengeblieben und hab’ mit ein paar Leuten ein Hostel aufgebaut. Da bin ich auch das erste Mal mit Craft Beer in Berührung gekommen. Ich glaube, zur gleichen Zeit fing das hier auch an mit den Mikrobrauereien. Durch die Pandemie bin ich dann wieder in Berlin gelandet. Hab’ im Brauhaus Neulich gearbeitet und darüber wiederum bin ich bei Heidenpeters angekommen. Geplant war die Ausbildung so nicht. Mir hat’s dann einfach so gut gefallen, in der Brauerei und hier in der Halle, dass ich mich entschieden hab’ mit 30 nochmal eine Ausbildung anzufangen. Endlich mal was auf’m Zettel haben!”
Vor allem die niedrigen Löhne erschweren es Quereinsteigerinnen, obwohl das Interesse an diesen Berufen bei vielen erst später erwächst. Die Leidenschaft fürs Lebensmittelhandwerk muss groß sein, sich in die eingestaubten und nur noch wenig zeitgemäßen Strukturen des Ausbildungssystems in Deutschland zu begeben. Beim Erlernen des Brauberufs sieht es ähnlich gestrig aus wie bei den Bäckerinnen. “Wir arbeiten da mit dem Kunze, der “Brauerei-Bibel”, geschrieben 1961. Sauerbiere gelten da als Braufehler. Die Techniken sind tendenziell industriefreundlich, weniger auf Handwerksbrauereien ausgelegt. Ein Kumpel von mir, der seine Ausbildung in Bayern macht - die brauen da nur so drei Biere: ein Helles, Dunkles und ein Bock. Als ich denen erzählt hab, dass ich meine Ausbildung in Berlin mache, haben die gesagt: “Was machste denn da? In Berlin lernt man doch kein Bierbrauen!” Falsch gedacht, die Brauereivielfalt in Berlin ist groß und das Epizentrum für die Craft-Beer-Bewegung in Deutschland. Gerade die Losgelöstheit von starren Traditionen, sagt Clemens, ist was ihn reizt. Er hat hier direkt seine eigenen Rezepte ausprobieren können, das “Whole Lotta Wheat” - ein Weizenbier - ist von ihm. Das Wesentliche und Schöpferische seiner Ausbildung wird also vor Ort gelernt. Wer braucht eine Braubibel, wenn die Erleuchtung in der Kellerbrauerei kommt?
Zum Positiven scheint sich die offizielle Ausbildungsstruktur bisher nicht zu ändern, auch wenn es Zeit für Reformen wäre, die sich an den Gegebenheiten von Lebensmittelhandwerker*innen orientieren und für Ausbildungsberufe begeistern.
In Deutschland ist das Durchschnittsalter der Beschäftigten in Brauereien deutlich höher als in anderen Lebensmittelbranchen. Zudem sind seit 1995 durch Technologisierung und Outsourcing-Prozesse jährlich rund 1000 Arbeitsplätze in Brauereien verloren gegangen. Nicht so in Kleinstbrauereien, die für junge Menschen als Arbeits- und Ausbildungsplatz weitaus reizvoller sind. Bei den Ausbildungsverträgen verhält es sich ähnlich: Während sie in Handwerksbrauereien stetig zunehmen, sinken sie in der Industrie. Die Zukunft der Brauereiwirtschaft liegt also, zumindest zum Teil, im Keller dieser Halle. Dank Brauhandwerk und eigensinnigen Quereinsteiger*innen wie Clemens sind Hopfen und Malz nicht verloren.