Unter Klimavorbehalt

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Vor der Europawahl am 26. Mai haben wir mit verschiedenen Menschen – Bauern, Aktivistinnen und Lebensmittelhandwerkern – darüber gesprochen, welche Bedeutung die Europäische Union für ihre Arbeit hat und warum zur Wahl gehen, direkten Einfluss auf die kleine genauso wie auf die ganz großen Fragen des Alltags hat.
Heute sprechen wir mit Rahel Volz. Rahel ist Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen und hat in verschiedenen Zusammenhängen zu Frauen- und Menschenrechtsthemen gearbeitet. Sie ist Mitbegründerin des Biohof Werder, der Wasserbüffel auf Naturschutzflächen und Hühner in Mobilställen hält. Der Biohof engagiert sich seit einigen Jahren für ökologische und regionale Lebensmittel und ist in die bundesweite „Wir haben es satt“-Kampagne für eine faire und ökologisch nachhaltige Landwirtschaftspolitik eingebunden. Zur Zeit unterstützt sie die Gründung regionaler Ernährungsräte in Potsdam, Potsdam-Mittelmark und dem Havelland.

Rahel, was bedeutet Europa für dich?
Europa bedeutet für mich ein friedliches Miteinander in der Vielfalt. Unterschiedliche Kulturen, Sprachen – und nicht zuletzt eine unglaubliche kulinarische Vielfalt. Aber leider auch eine völlig verfehlte Ernährungs- und Agrarpolitik.

Was hat die Europawahl mit unserem täglichen Essen zu tun?
Gesundes, regionales und ökologisch nachhaltig erzeugtes Essen hat bisher keine starke Stimme im Europa-Parlament. Ende des Jahres wird das neu gewählte Europaparlament die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) für die nächsten sieben Jahre verabschieden. Rund 58 Milliarden Euro pro Jahr werden derzeit fast ausschließlich nach der Größe der bewirtschafteten Fläche ausgeschüttet. Klima- und Umweltschutz, regionale Wertschöpfungsketten und das Tierwohl spielen kaum eine Rolle.

Wie hängt Brandenburg mit Brüssel zusammen?
Brandenburg ist stark landwirtschaftlich geprägt. Dennoch ist es hier kaum möglich, sich mit regionalen Lebensmitteln zu versorgen. Bäuerliche Betriebe sind zur Aufgabe ihrer Höfe gezwungen, BäckerInnen, FleischerInnen, KöchInnen und andere LebensmittelhandwerkerInnen sucht man fast vergeblich. Discounter haben die Versorgung der ländlichen Bevölkerung übernommen. Hier muss Brüssel die Weichen für eine regional und ökologisch ausgerichtete Ernährungswende stellen. Und auch das Land Brandenburg hat große Gestaltungsspielräume bei der Vergabe von EU-Fördergeldern zur Entwicklung des ländlichen Raums, die nicht für die notwendigen Veränderungen genutzt werden.

Was erhoffst du dir vom Europaparlament für die Agrarpolitik der nächsten 5 Jahre?
Das Europaparlament muss sich der Notwendigkeit eines zukunftsfähigen, nachhaltigen Ernährungssystems stellen. Außerdem erhoffe ich mir, dass das Europaparlament dem Vorbild von Irland folgend den Klimanotstand ausruft und damit auch die Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik unter einen Klimavorbehalt stellt.

Was ist deine Vision für Brandenburg und welche Rolle kann ein Ernährungsrat spielen?
Regionale Versorgungsstrukturen, die den bäuerlichen Betrieben ihre Existenz sichern; der Aufbau von handwerklichen Verarbeitungsbetrieben, die Arbeitsplätze schaffen und den ländlichen Raum nachhaltig beleben; die Aufwertung des Lebensmittelhandwerks, damit es wieder attraktiv ist, BäckerIn oder KöchIn zu werden und eine regional und ökologisch ausgerichtete Gemeinschaftsverpflegung in Brandenburg - das ist meine Vision.
Und damit es nicht bei der Vision bleibt, braucht es viele regionale Ernährungsräte in Brandenburg, die sich für eine zukunftsfähige Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik einsetzen und konkrete Veränderungen in der Region anstoßen. Nach dem bereits gegründeten Ernährungsrat Prignitz-Ruppin gibt es jetzt auch erste Initiativen im Havelland/Potsdam-Mittelmark und im Osten Brandenburgs. Ziel ist es, im Jahr 2020 einen Brandenburger Ernährungsrat zu gründen, um der Ernährungsdemokratie in Brandenburg eine starke Stimme zu geben.